Finnisches Roulette
Zunge nicht mehr im Zaum halten. »Und das willst du jetzt essen?« fragte er. »Ich kriege schon vom Zusehen Sodbrennen.«
»Ich komme nicht oft dazu, in einem Restaurant Mittag zu essen«, sagte Ratamo zu seiner Verteidigung, so als wäre die Eile eine Erklärung dafür, daß er gewürzsüchtig war. Der erste Bissen beendete das Gespräch. Ratamo hatte zuletzt am frühen Morgen etwas gegessen.
Ausgerechnet jetzt klingelte sein Handy, ohne daß auf dem Display eine Nummer auftauchte. Er wollte es schon ausschalten, doch dann wurde ihm klar, daß möglicherweise jemand von der SUPO anrief. Tabasco stieg ihm in die Nase und brannte, als er sich meldete.
»Du hast gesagt, ich soll anrufen, wenn etwas passiert.« Saara Lukkari kam mit Feuereifer sofort zur Sache. »Die Frau von diesem Sami Rossi hat angerufen. Sie behauptet, sie könne beweisen, daß ihr Mann Dietmar Berninger nicht ermordet hat, und gestern abend in Kraków habe jemand versucht, sie umzubringen. Ich …«
»Ich komme sofort«, zischte Ratamo und bemerkte zu seiner Überraschung, daß ihn die Ausweitung der Ermittlungen freute. Allerdings ärgerte es ihn, daß er Nelli wieder einmal eine Enttäuschung bereiten mußte, denn jetzt blieb keine Zeit mehr, die Pizza zu essen.
Nelli ahnte, was ihr Vater sagen wollte. »Jetzt kommt wieder mal der Trick mit dem Verschwinden. Du bist’n Mistkerl!« kreischte das Mädchen und knallte Messer und Gabel auf den Teller, daß es klirrte.
Ratamo war schockiert. Reihte sich Nelli jetzt auch schon in die Front der Frauen ein, die ihn beschimpften? Sie waren doch hoffentlich nicht auf dem Weg in getrennte Lager, die sich feindlich gegenüberstanden? Ratamo nahm mit seiner Serviette ein Käseklümpchen weg, das auf Nellis Hemd gefallen war, und überlegte fieberhaft, wie er die verfahrene Situation retten könnte.
Dann hatte er eine Idee: »Es gibt eine kleine Programmänderung. Dein Vati zeigt dir seine Arbeitsstelle, du kannsteinen Besuch bei der Sicherheitspolizei machen und dort deine Pizza weiteressen.« Er bat die Kellnerin, ihr Mittag einzupacken.
Nellis Augen glänzten vor Begeisterung.
In der Ratakatu brachte Ratamo sie in sein Arbeitszimmer, holte zur kalt gewordenen Pizza aus der Kochnische eine Flasche Limonade und überließ Nelli sich selbst. Außenstehende wurden in der SUPO ohne Anlaß nicht geduldet, aber schließlich war Nelli seine Tochter und erst neun Jahre alt.
Nelli fand es spannend, allein im Arbeitszimmer ihres Vaters zu sein. Sie wußte, daß in der Sicherheitspolizei irgend etwas Geheimes getan wurde und daß ihr Vater wichtig war, wahrscheinlich so eine Art Detektiv. Nelli setzte sich auf den Schreibtischsessel und wagte es nicht, die Seiten zu berühren, die auf dem übervollen Tisch lagen und bedeutungsvoll aussahen. Sie kaute ein paar Bissen ihrer Pizza und dachte dabei, daß bei ihrem Vater hier genauso ein Durcheinander herrschte wie zu Hause. Plötzlich fiel ihr ein Stück Käse herunter, genau auf die oberste Seite.
Nelli wischte das Papier mit dem Ärmel ab. Jetzt würde ihr Vater böse werden. Was stand denn eigentlich auf dem Blatt, das jetzt einen Fettfleck hatte? Nelli las langsam die Überschrift und die nächsten Zeilen. »Deutsche Botschaft in Helsinki. Betrifft: Antwort auf Ihre Anfrage – Dietmar Bern…inger. Botschafts…rat Berninger befand sich in einer für sein Alter hervorragenden physischen Verfassung. Er litt nicht unter Bluthochdruck oder Herzproblemen, und ihm sind keine … Betablocker verschrieben worden.« So eine offizielle Mitteilung bedeutete bestimmt etwas Spannendes, aber was?
Nelli folgte einer Eingebung, faltete das Blatt zweimal zusammen und steckte es in ihre Tasche. Vielleicht würde ihr Vater jetzt bemerken, daß es sie gab.
Saara Lukkari trank aus einer Plastikflasche, als Ratamo ganz außer Atem in den Beratungsraum gestürmt kam. »Hast du irgend etwas Neues über die Frau von Rossi herausbekommen?« fragte Ratamo schnaufend, noch bevor er sich hingesetzt hatte.
»Ich habe nichts gefunden, was man dem Personenprofil der Kriminalpolizei hinzufügen könnte. Außer, daß die Frau hin und wieder an Demonstrationen teilnimmt, zuletzt gegen das fünfte Kernkraftwerk und den Irak-Kriegszug der USA. Standardware also, aber rate mal, wer Laura Rossis Mutter ist?« Seine Kollegin schaute Ratamo triumphierend an.
»Na sag schon!«
»Anna Halberstams Schwester. Diese Großeigentümerin von H & S Pharma ist eine Finnin!«
Ratamos Mund
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