Finnisches Roulette
Ketonen bürstete den Hund und begrüßte Ratamo ganz locker. Vor dem Kachelofen lag ein Haufen gelblich grauer Haarknäuel. Ratamo konnte sich nicht erinnern, wann er den Polizeirat zuletzt so entspannt und gutgelaunt gesehen hatte.
»Hat die Polizei einen Rat für einen Ermittlungsleiter, der noch grün ist?« sagte Ratamo.
»Red keinen Unsinn, Junge«, erwiderte Ketonen grinsend und fragte, was Ratamo auf dem Herzen hatte.
Der Gesichtsausdruck des Chefs wurde immer erstaunter, je mehr er von seinem Ermittler erfuhr. Schließlich stand er auf und hielt sich dabei den Rücken. »Warum bittest du Wrede nicht um zusätzliche Kräfte?«
Ratamo wirkte verlegen.
»Ich lasse Wrede herkommen. Ihr müßt doch imstande sein zusammenzuarbeiten«, entschied Ketonen.
Die beiden warteten schweigend auf ihren Kollegen, bis Ketonen bemerkte, daß Musti auf dem Rand der finnischen Flagge kaute, die an einer Stange hing. Eine Papierkugel traf den Hund am Maul. Musti warf ihrem Herrchen einen säuerlichen Blick zu und rollte sich auf dem Teppich neben der Yuccapalme zusammen.
Eine halbe Minute später traf Wrede in seinem blauen Westover ein, strotzend vor Selbstsicherheit.
Ratamo befürchtete, daß die Frage des Nachfolgers offenbar schon entschieden war. Er berichtete Wrede von den neuesten Wendungen bei den Ermittlungen und sagte, er brauche mehr Leute. Es ging ihm gegen die Ehre, Wredeum Hilfe zu bitten. Rasch holte er die Kautabakdose aus der Tasche, nur um den Schotten zu ärgern.
Wrede sah nachdenklich aus. »Sollte man nicht anfangen, diesen Fall ernsthaft zu untersuchen? Also die Ermittlungen zu intensivieren?« Er warf Ratamo einen Blick zu und schaute dann schnell zu Ketonen. »Ich wette, daß die Wurzeln dieses Falls in Deutschland zu finden sind, H & S Pharma verbindet alle Ereignisse miteinander. Mit wem seid ihr in Kontakt, mit dem BKA oder dem BND?« Nun schaute er wieder Ratamo an.
»Mit dem BKA. Sie sind anscheinend nicht so sehr begeistert davon, Anna Halberstam zu verhören.«
»In dem Falle nehme ich Verbindung zum BND auf. Dort wird man schon Interesse zeigen, wenn ich die Araber, die Juden und die Genkarten des Biotechnologieunternehmens im selben Fall miteinander in Verbindung bringe.« Wrede trat so auf, als würde sich nun alles binnen kurzem klären, weil er jetzt den Taktstock schwang. »Ich werde auch versuchen, Laura Rossi zur Vernunft zu bringen, aber wir können sie nicht daran hindern, nach Verona zu reisen. Dies ist ein freies Land, es liegt kein Verdacht gegen sie vor, und anscheinend ist sie selbst nicht mehr in Gefahr, da sie ihre Aktien übergeben hat.«
Ketonen haute mit der Faust auf den Tisch. »Erik, du leitest die Ermittlungen. Erweitere das Team, wie du es für notwendig hältst. Arto, packe mal sicherheitshalber schon deinen Koffer. Wenn Laura Rossi ihre Meinung nicht ändert, darfst du zu ihrem Schutz mit nach Verona fahren.«
26
Anna zitterte am ganzen Leibe. Sie war nicht fähig, in ihre Traumwelt zu entfliehen und die schwarze Leere in ihrem Kopf zu überwinden; diese hatte von ihr Besitz ergriffen, sie wußte, daß sie sterben würde. Ihr war jetzt klar, daß Konrads Plan nie gelingen würde. Sie hatte herausbekommen, was die Namen Eos und Tithonus bedeuteten, und so die Lösung für viele Rätsel gefunden. Konrad war nicht in ihrer Nähe geblieben, weil er sie anbetete, sondern weil er sich rächen wollte. Anna überlegte, ob Konrad seine Verbitterung schon seit jenen Tagen gehegt und gepflegt hatte, als sie sich vor dreißig Jahren für Werner und nicht für ihn entschieden hatte.
Die kreideweißen Goldhaubenkakadus Eos und Tithonus saßen auf dem Arm ihrer Herrin, der von dunkelblauer Seide bedeckt war. Sie kreischten laut und energisch, breiteten ihre Flügel aus und bettelten um Aufmerksamkeit, dabei legten sie immer nur für kurze Momente eine Pause ein. Wegen seiner Reisen nach Kraków und Verona hatte Konrad das Vogelzimmer anderthalb Tage nicht gesäubert, es roch schon nach Kot. Anna wartete auf einen Anruf Konrads aus Verona.
Sie nahm ein Blatt Papier vom Tisch und las die Geschichte aus der Antike mindestens zum zehntenmal. Sie mußte wissen, wovon sie sprach, wenn sie Konrad als Verräter entlarven wollte. Eos war in der griechischen Mythologie die Göttin der Morgenröte, die sich in einen Menschen verliebte, in den sterblichen Tithonus. Im Rausch der Liebe bat Eos den Obergott Zeus, er möge Tithonus das ewige Leben schenken, versäumte es aber, um die
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