Finns Welt - 01 - Finn released
Mann kann seine Tränen kaum zurückhalten. Wahrscheinlich war der Opa sein Vater. Die Kleine hat erlebt, was ich bei Oma erleben musste. Ende. Aus. Ohne Chance. Kein böser Traum. Wirklich aus. Ich bekomme einen riesigen Kloß im Hals. Das Mädchen schluchzt weiter. Durch ihre Tränen sagt sie: »Ich muss hier vorhin irgendwo meinen Popball verloren haben.«
Es geht nicht um einen Popball, wenn man so was sagt, nachdem der Opa gestorben ist. Also, nicht direkt. Man will nur nicht noch etwas verlieren, und wenn es bloß der kleine Smiley ist. Ich wische den Popball an meinem T-Shirt ab und trete hinter dem Landcruiser hervor. »Ist es der?«, frage ich.
Die Eltern sehen mich überrascht an. Ich sage: »Entschuldigung, ich habe sie zufällig gehört.« Die Mutter nickt zu ihrer Tochter. Ich gebe der Kleinen den Ball. »Danke«, schluchzt sie durch die Tränen.
Die Familie steigt in den Landcruiser. Ich sehe ihnen nach, wie sie davonfahren. Ein paar meiner Werbezettel sind verweht. Ich sammle sie wieder ein, gehe zu meinem Rad und mache mich auf den Nachhauseweg.
Als das Altersheim außer Sicht ist, kriege ich mich wieder ein. Ich denke an Opa. Meistens fahren wir zu ihm ans Meer, wie gesagt, aber wenn er mal bei uns zu Besuch ist, geht er stolz durch den Keller und streichelt die alten Druckerpressen, als wären es freundliche Hunde, die ihn selbst nach Jahren wiedererkennen. So, wie es dem kleinen Mädchen eben das Herz gebrochen hat, weil sein Opa gestorben ist, würde es meinem Opa das Herz brechen, wenn mein Vater mit der Druckerei pleiteginge.
Ich denke über diese Sache nach, als ich nach Hause fahre. Es riecht nach frisch gemähtem Gras. Über allem liegt eine friedliche Feierabendruhe, aber Fakt ist, dass mein Plan mit dem Altersheim nicht geklappt hat. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die Werbeaktion besser funktioniert. Also: Wir haben fünfzehntausend Werbezettel in die Zeitung legen lassen. Nehmen wir an, nur jeder Zehnte hätte einen Auftrag für Papa. Dann hätten wir tausendfünfhundert Kunden gewonnen. Das sind bei dreihundert Arbeitstagen im Jahr ganze fünf Aufträge pro Tag! Die Maschinen würden wieder laufen.
Ich lächle bei diesem Gedanken, als ich in die Kurve gehe und abbremse. An der Kreuzung steht das Haus mit den Satellitenschüsseln. Dort gibt es viele Sozialwohnungen und Hartz-IV-Familien. Jeder weiß das. Das Satellitenhaus, so nennen es unsere Eltern. Und man spürt, dass sie niemals dazugehören wollen. Lukas sagt, die seien nicht so schlimm, immerhin wohne Dustin da und der tue immer nur so hart, aber ich weiß nicht, was ich von Dustin wirklich halten soll.
Eine Frau wischt gerade den Hausflur. Das Lokalblatt mit unserer Werbung drin hat der Zeitungsausträger hier nicht einzeln in die vielen Briefkästen gesteckt, sondern einfach als Stapel auf den Treppenhausboden geworfen. Es ist sogar noch der Plastikstraps drum. Die Putzfrau schiebt mit ihrem Gummischrubber einen Schwall dreckiges Wasser auf die Straße und schwemmt die Zeitungen fast mit hinaus. Sie sind jetzt pitschnass, nur noch ein Klumpen. Na super.
Ich fahre weiter und spüre, wie ich wütend werde. Kraftvoll trete ich in die Pedale und bremse scharf, als mir ein paar Straßen weiter Jessy vors Rad läuft.
»Hey, pass doch auf!«, rufe ich, doch sie schaut mich nur mit großen Augen an.
»Du bist der Junge, der die Katzen verteilt hat, oder?«, fragt sie.
»Und du bist das Mädchen, das lieber Japaner wollte, oder?«
Sie kichert. Frau Schieber erscheint und zieht ihre Gartenhandschuhe aus.
»Tag, Frau Schieber«, grüße ich sie freundlich. »Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, ich habe die Katzen woanders unterbringen können.«
»Ich habe kein schlechtes Gewissen«, entgegnet sie. Die Lokalzeitung ragt auch bei ihr noch aus dem Briefkasten. Sie winkt ihrer Tochter, sagt: »Schatz, gleich gibt’s Essen«, zieht die Zeitung raus und blättert sie auf. Ihre Augen bleiben auf der ersten Seite kleben. Dort gibt’s eine Kinokritik, einen Buchtipp und ein Sudoku. Sie zieht eine Schere aus der Hosentasche, schneidet das Sudoku aus, steckt es ein und wirft den Rest der Zeitung samt unserer Werbung in die Tonne. Einfach so. Macht ja nix, es geht ja nur um die Existenz meiner Familie und das alte Herz meines Opas! Mir wird heiß, und ehe ich noch darüber nachdenken kann, platzt es aus mir heraus: »Ein Sudoku können Sie machen, aber einen Japaner nehmen Sie nicht!«
»Wie bitte?«, sagt Frau
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