Finns Welt - 01 - Finn released
Garage liegt noch in unserem Radius.
»Das ist zu machen«, sagt Lukas.
Ich lasse meinen Blick langsam über das Haus, die Fenster, den Garteneingang schweifen. »Niemand da«, stelle ich schließlich fest.
»Wieso?«, fragt Flo.
Ich zeige auf ein Fenster, hinter dem ein paar Rosen in einer Vase stehen. »Die lassen die Köpfe hängen«, sage ich. »Hat niemand neues Wasser nachgefüllt. Wer ein teures Haus hat, der kümmert sich auch um seine Blumen. Wenn er daheim ist. Daraus folgt: keiner zu Hause.«
Lukas steht bereits mit dem Rücken vor der Garagenmauer und macht mit den Händen eine Räuberleiter. »Komm, Knoppers-Junkie, du zuerst!«
Flo schaut kurz hoch. Er zögert.
»Ich lass dich schon nicht fallen«, versichert Lukas ihm.
»Das ist es nicht«, sagt Flo.
»Was dann?«
»Na ja«, sagt er und sieht mich an. »Und es ist wirklich keiner da?«
»Die Rosen sind vertrocknet.«
»Es ist nur«, stottert Flo, »das ist jetzt das erste Mal, dass wir es tatsächlich tun. Ich meine, da ist ein ganzes Haus als Hindernis.«
»Ja«, sagt Lukas, »ist doch geil. Das ist doch der Reiz bei der Sache.«
Ich gehe zu Flo, fasse ihn an den Schultern und sage: »Flo, du hast die Spielregeln selbst geschrieben. Du bist unser Gamer hier. Willst du keine Bonuspunkte fürs Klettern verdienen?«
»Die Kategorie heißt nicht Klettern, die heißt Geschicklichkeit. Ich hab das alles schon für euch extrem vereinfacht.«
»Also willst du?«
Ich sehe, dass er Bock hat. Er hat aber auch Angst. »Wenn uns irgendwer dumm anmacht, habe ich immer eine gute Geschichte zur Hand, in Ordnung?«, versuche ich, ihn zu überzeugen. »Ich verspreche es dir.«
Er zwingt sich zu einem Lächeln. »Wahrscheinlich hab ich einfach nur Hunger«, sagt er.
»Dann rauf jetzt aufs Dach!«
Flo atmet durch, geht zu Lukas, klettert mit den Matschsohlen auf dessen Schulter und wuchtet sich auf die Garage. Oben bleibt er flach liegen, dreht sich um, guckt zu uns herunter und sagt: »Dahinter kommt noch ein Haus mit Garten. Da sind welche zu Hause.«
»Kopf runter, eins nach dem anderen«, sage ich und erklimme ebenfalls das Dach. Tatsächlich. Die beiden Häuser stehen Garten an Garten und hinter den Terrassenfenstern der Nachbarn bewegen sich Menschen im Wohnzimmer.
»Na super«, beschwert sich Lukas, »und wer macht mir jetzt die Treppe?«
Ich seufze, hole ein Seil aus meinem Rucksack und lasse es zu ihm runter.
»Flo, gib Finn mal ein paar Extrapunkte, weil er den besten Rucksack gepackt hat.« Flo und ich halten gemeinsam das Seil, lehnen uns nach hinten und ziehen Lukas auf die Garage.
Ein paar Minuten liegen wir flach am Rand des Garagendachs und beobachten die Bewohner im Haus dahinter. Sie tragen Frühstückszutaten auf den Tisch in ihrem Garten. Es ist schließlich Samstagmorgen.
»Wir müssen nur einen Moment erwischen, wo keiner von denen im Garten ist«, sage ich. »Dann springen wir schnell rein.«
»Und dann?«, fragt Flo.
»Wart’s ab!«, sage ich. Aber die Familie tut uns den Gefallen nicht. Vater, Mutter und die kleine Tochter tragen die Teller, Käsebretter und Safttüten nie gemeinsam in den Garten, sodass immer einer draußen ist. Die Dachpappe der Garage ist von der Sonne so erhitzt, dass es am Bauch und an der Brust bereits wehtut.
»Scheiße, ich kann nicht mehr, ich verbrenne hier«, stöhnt Lukas, steht auf und springt, ohne zu zögern, aufs Gras. Er rollt sich gerade ab, als das kleine Mädchen rauskommt. Es kreischt und lässt vor Schreck einen Korb mit Brötchen fallen. Was soll das Kind auch anderes machen, als zu schreien? Immerhin ist da gerade ein matschverklebter Irrer in schwarzer Militärhose vom Dach gesprungen. Die Eltern sind in einer Nanosekunde im Garten. Der Vater nimmt sich eine Schaufel. Bevor er Lukas damit eins überbraten kann, rufe ich: »Sebastian! Hast du Mimi gefunden?« Ich richte mich auf. Flo liegt neben mir wie ein Zwerg, der zu meiner Kampfgruppe gehört. »Oh, da ist ja jemand«, sage ich laut und schaue nach unten.
»Ja, da ist jemand«, bestätigt der Vater, »und zwar ganz zufällig der Mann, dem dieses Gelände gehört.«
Ich tue so, als wäre mir gar nicht bewusst, dass wir was Unrechtes tun. »Haben Sie unsere Katze gesehen?«, frage ich und noch bevor ich eine Antwort bekomme, rufe ich »Mimiiiiiiii!«, lege die Hand wie einen Schirm über die Augen und spähe über die Dächer.
»Eure Katze?«, fragt der Mann und seine kleine Tochter entspannt sich langsam. Seine Frau
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