Finns Welt - 01 - Finn released
Lukas hört auf zu lachen. »Wie bitte? Das Holz ist gebrochen, ich habe gar nicht gedreht.«
»Das war ein Foul!«, beharrt Flo. »Das war deine Rache.« Er nimmt eine große Handvoll Matsch aus dem Wasser und klatscht sie Lukas mitten ins Gesicht. Jetzt geht’s wieder los, denke ich, und so ist es auch. Stumpf bombardieren sich meine Freunde gegenseitig und geben dabei Laute von sich wie die Oger.
Ich nutze die Zeit, um meinen Plan zur Bachüberquerung umzusetzen, den ich ehrlich gesagt schon hatte, seit ich das Gewässer das erste Mal plätschern hörte. Ich hoffe nur, ich finde das passende Hilfszeug dafür. Innerhalb der sieben Meter unseres Streifens liegt jedenfalls nichts Brauchbares. Also mache ich mich auf und gehe wieder ein Stück zurück in den Wald hinein.
»Ey, haust du jetzt ab, oder was?«, ruft Lukas und die beiden unterbrechen kurz ihr Schlamm-Wrestling.
»Ich suche was!«, rufe ich zurück.
»Was denn?«, sagt Lukas. »Eine Klappbrücke aus Alu? Glaubst du, hier ist irgendwo eine kleine Hütte im Wald, wie in den Spielen von Flo, und da steht dann ein Kaufmann und bietet dir für deine Goldstücke ein Schwert, einen Schild und ganz zufällig auch noch eine Klappbrücke aus Alu an?«
Lukas kann sich so super aufregen. Das lernt er beim Fußball. Wer da bestehen will, muss nicht bloß spitzenmäßig Fußball spielen. Er muss auch lernen, sich ständig laut und lange aufzuregen. Ich sehe mich ein paar Minuten um und freue mich, als ich einen kleinen Baum finde, der bietet, wonach ich suche. Ein armdicker Ast von rund zweieinhalb Metern Länge wächst in Kniehöhe aus seinem Stamm heraus. Ich kann ihn nicht abbrechen, also hole ich wieder die Gartenschere heraus und ritze das dicke Ding an allen Seiten so lange ein, bis sich Bruchstellen gebildet haben. Dann trete ich es ab und schlendere damit zu den Jungs zurück, die zwar nicht mehr kämpfen, aber immer noch im Matsch sitzen. Erst als sie mich sehen, beginne ich, in aller Seelenruhe die störenden Zweige von dem langen Ast abzuknipsen. »Wusste ich’s doch, dass ich die Gartenschere noch mal brauche«, sage ich und Lukas erwidert: »Und was gibt das?«
Ich schneide alle restlichen Zweige ab, gehe ans Ufer, klettere vorsichtig bis an die Kante des Matschrands hinab und stecke meinen langen Stab ungefähr in die Mitte des Wassers. Der Bach ist so flach, wie ich dachte. Der Wasserspiegel dürfte mir knapp bis zum Hosenbund gehen. Es könnte klappen. Ich klettere wieder das halbe Ufer hoch, atme tief durch, ramme den Stab ins Wasser, stoße mich mit voller Wucht ab und stemme mich an dem Ding über das Wasser und bis in die Mitte der anderen Böschung. Ich lasse rechtzeitig los, lande auf dem Bauch im Gras, kralle mich fest und bekomme keinen einzigen Spritzer Matsch ab. Wie ein robbender Soldat arbeite ich mich nach oben, lasse mich auf den Rücken fallen, schaue in die Baumkronen, durch welche die Sonne bricht, und hebe die Hände wie ein Olympiasieger.
»Wow!«, sagt Flo.
»Mist«, knurrt Lukas, »da hätte ich selbst draufkommen müssen. Eine Bachstelze!«
Ich grinse breit, das Gesicht noch in den Baumkronen, stemme mich hoch und reiche den Jungs die Hand, um ihnen jeweils beim Erklimmen der Böschung zu helfen. Dann halte ich Lukas die offene Rechte hin. Der ist noch dabei, sich Matsch und Dreck von den Klamotten zu klopfen.
»Was ist?«, fragt er.
»Ich kriege 5 Euro.«
Lukas rollt mit den Augen. »Warum kriegst du 5 Euro?«
»Unsere Wette«, sage ich. »Du hast eben den Namen eines Vogels ausgerufen. Bachstelze.«
Lukas wedelt mit dem Finger wie auf dem Fußballplatz, wenn der Schiedsrichter angeblich mal wieder unrecht hat. »Nein, nein, nein, wir haben gewettet, dass wir in der nächsten Stunde keinen Vogel sehen.«
»Wir haben gewettet, dass du in der nächsten Stunde den Namen eines Vogels ausrufst!«
»Finn hat recht«, sagt Flo, »ich habe das notiert.«
»Du hast das notiert?«, fragt Lukas.
»Ja. Ich war mir nicht sicher, ob Wetten auf dieser Quest sozusagen als Mini-Games gelten, also habe ich einfach mal mitgeschrieben. Und hier steht es. Finn sagt: ›Ich wette mit dir um 5 Euro, dass du innerhalb der nächsten Stunde mindestens einmal den Namen eines Vogels ausrufst.‹ Für die Bachstelze gibt’s übrigens 25 Punkte extra in der Kategorie Geschicklichkeit.«
»Geht’s noch?!«, sagt Lukas.
»Finn weiß immer ganz genau, was für Geschichten er erzählt«, sage ich in der dritten Person über mich selbst.
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