Finns Welt - 01 - Finn released
vorstellen! Seit sechs Stunden laufen wir einfach immer geradeaus, egal, was da kommt. Sonst liege ich samstags um die Zeit manchmal noch im Bett. Und heute bin ich schon über Garagen geklettert, habe Flo vorm ICE gerettet, bin in einen Supermarkt eingebrochen und habe die A 3 durch einen Tunnel unterquert, von dem ich nicht mal wusste, dass es ihn gibt.«
»Und eben wolltet ihr noch aufgeben«, sage ich.
Der Kapuzenpullimann zieht seinen Reißverschluss zu und kommt zu uns herüber. »Äh, sorry, Jungs«, sagt er und geht neben uns her, weil er merkt, dass wir nicht anhalten. »Wartet mal«, bittet er uns und wir halten kurz an. »Ich konnte nicht umhin, euer Gespräch mitzuhören – ist eine Berufskrankheit.« Er lächelt. »Habe ich das richtig verstanden? Ihr seid heute den ganzen Tag immer geradeaus durch das Land gelaufen, egal, was sich euch in den Weg gestellt hat?«
»Ja«, sagt Flo stolz, »das ist eine Quest.«
»Eine Quest?«
»Wie in einem Videospiel«, erkläre ich.
»Ich weiß schon, was das bedeutet, aber ihr macht das tatsächlich in echt?«
»Ja«, antwortet Flo. »Das Regelwerk habe ich beim Kämpfen mit einem Filialleiter von Aldi verloren, aber es ist alles hier drin.« Er tippt sich an die Stirn.
»Das ist stark«, sagt der Mann und rückt seine Hornbrille gerade. Er sieht aus wie einer dieser Typen, die mit achtzehn schon Millionäre sind, weil sie Facebook gegründet haben. Oder eine Onlinedruckerei.
»Was heißt Berufskrankheit?«, will ich wissen.
»Bitte?«
»Sie haben gesagt, uns zu belauschen, wäre eine Berufskrankheit.«
Der Mann kramt eine Visitenkarte aus seiner Hosentasche und gibt sie mir. Sein Name ist Jan-Eric Baumann. Seine Firma heißt Streetrats Productions.
»Ich drehe fürs Fernsehen«, sagt er. »Für Magazine, wisst ihr? So tägliche Formate, wo sie auch Schwertransporte zeigen oder Leute, die in einem Dorf das längste Baguette aller Zeiten backen.«
Flo scheint beeindruckt, aber Lukas wird langsam ungeduldig. »Wir müssen abhauen, Leute, los jetzt!«
Herr Baumann fragt: »Darf ich euch begleiten?« Er zeigt zum Parkplatz rauf. »Ich hab meine Ausrüstung im Wagen. Kleines Besteck, aber das reicht für eine authentische Doku. Wenn ich euch filme und das wird gesendet, beteilige ich euch an der Gage. Ich kann die Sachen schnell holen.«
»Finn, komm schon!«, drängelt Lukas. Ich kaue auf meiner Unterlippe, tippe mit der Visitenkarte auf meinem Handrücken herum und denke ausführlich über das Wort »Gage« nach. »Machen Sie schnell!«, sage ich dann.
»Ihr könnt mich ruhig duzen!«, ruft Herr Baumann, der schon in Richtung Auto rennt. »Nennt mich Jan-Eric!«
Ich beobachte ihn, wie er die Böschung hinauf zu seinem Wagen hastet.
»Meinst du, das ist eine gute Idee?«, fragt Lukas.
»Also, ich finde das aufregend«, sagt Flo.
Jan-Eric kommt wieder herbeigerannt, eine große schwarze Tasche auf dem Rücken. »Ich habe mir gedacht, wir drehen erst mal diesen geheimen Tunnel da.«
»Sind Sie … bist du verrückt?« Lukas schüttelt den Kopf. »Es ist verboten, da durchzugehen. Wir sind froh, wenn der Typ, den wir verarscht haben, uns bei niemandem anschwärzt.«
Jan-Eric schaut sich um, zieht den Reißverschluss der Tasche auf, schultert eine Kamera und sagt: »Dann versteckt euch meinetwegen. Ich mache nur schnell einen Moodshot von dem Ding.«
Er wartet unsere Antwort gar nicht erst ab, also legen wir uns flach auf den Boden, weil es nichts zum Verstecken gibt. Lukas sagt, den Mund knapp über dem Gras: »Was zum Teufel ist ein Moodshot?«
»Ein Bild ohne Menschen, das man benutzt, um später Musik oder einen Moderationstext drunterzulegen. Eine Stimmungsaufnahme«, erklärt Flo.
»Und warum nennt er es dann nicht so?«
»Woher weißt du das?«, frage ich Flo interessiert.
»Hab ich gelesen«, sagt er. »Ich lese halt über andere Sachen als Vogelmiere und Bärenklau.«
Jan-Eric hat seinen Moodshot im Kasten und läuft zu uns rüber. »Da kommt niemand, ihr könnt aufstehen.«
Kaum stehen wir offen im Feld, sehen wir ein paar Männer die Zufahrt hinunterlaufen. Sie sprechen in ein Handy, schauen in den Tunnel, schauen aufs Feld und zeigen wild gestikulierend in unsere Richtung.
»Lauft!«, sage ich und schon rennen wir wieder, wir haben ja mittlerweile Übung darin. Neu ist nur, dass uns bei dieser Flucht eine Kamera begleitet.
DER POOL
Erst nach zwanzig Minuten werden wir wieder langsamer. Wir haben das Brachland hinter uns gelassen
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