Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Haar verwandelt sich zu filzigen Rastalocken und mir wächst in Windeseile ein großer grauer Bart. Ich greife an mein Kinn. Kein Bart. Das Gesicht im Wasser bin nicht ich, sondern ein australischer Ureinwohner, ein verwitterter Aborigine. Er schaut auf der anderen Seite des Erdballs in seinen Brunnen. Ich bekomme eine Gänsehaut. Der alte Mann starrt mich an. Dann höre ich Schritte hinter mir im Garten.
Ich wache auf und zucke in meinem Bett, als wolle ich nach dem Eindringling schlagen. Ich habe nur geträumt. Vielleicht hatte Opa recht und mein Hirn muss die vielen Eindrücke des Tages ausgleichen. Ich greife unter mein Bett und nehme einen Schluck Cola aus der Flasche, die ich dort versteckt habe. Meine Mutter sagt, man soll nachts nur Wasser trinken, wenn man Durst bekommt, weil der Zucker sonst stundenlang Zeit hat, die Zähne zu zerfressen. Ich trinke und setze ab. Als das Geräusch der Kohlensäure in der Flasche aufhört, höre ich draußen Geräusche. Mein Fenster steht auf Kipp. Ich lege die Flasche ab und schiebe meinen Kopf über die Fensterbank. Ein Schatten huscht im Garten gegenüber um die Hausecke. Glaube ich zumindest. Jetzt ist nichts mehr. Kein Geräusch, kein Huschen. Soll ich rausgehen? Im Schlafanzug? Also tatsächlich jetzt? Mitten in der Nacht in den Garten von Sophia marschieren? Wie ein kleiner Verrückter? Sophia erwischt mich, bringt mich zurück, weckt meine Eltern und die gehen mit mir zum Arzt. Vielleicht sind es schon wieder Fans, die glauben, da lebt Suzanne Myers? Schwachsinn. Es wird schon alles in Ordnung sein. Ich habe eben noch geträumt, da ist es normal, dass es in den Ohren klingelt und man Dinge sieht, die nicht da sind. Ich greife wieder unters Bett, ziehe die Taschenlampe hervor, öffne das Fenster und lasse den Strahl nebenan über das Haus fahren. Nach ein paar Sekunden macht Flo in seinem Zimmer das Fenster auf. Um nicht die ganze Nachbarschaft mit Fenster-zu-Fenster-Gebrüll aufzuwecken, ruft er mich auf dem Handy an. Ich gehe ran und wir flüstern auf fünfzehn Meter Entfernung, mit Blickkontakt.
»Was machst du denn da mit der Taschenlampe? Willst du, dass meine Mutter einen Herzinfarkt kriegt? Sie ist doch so schreckhaft nachts.«
»Ich dachte, da wäre was in eurem Garten.«
»In unserem Garten?«
»Ja, ich hab was gesehen, glaube ich.«
»Da ist nix.«
»Kannst du doch nicht wissen.«
Flo grummelt und verschwindet aus dem Fenster. Einen Moment lang passiert nichts. Dann schießt eine Katze böse kreischend aus dem Garten hervor auf die Straße. Flo taucht wieder im Fenster auf. »Da war doch was«, sagt er, »eine Katze. Hab einen Hausschuh nach ihr geworfen. Sie wollte Fische aus dem Teich klauben.«
»Siehst du …«
»Ja, danke. Aber penn jetzt. Wir schreiben morgen eine Mathearbeit.«
Das hatte ich erfolgreich verdrängt. Außerdem fällt Flo so was leichter. Der kann Mathe tatsächlich im Schlaf.
»Nacht.«
»Nacht.«
Wir legen auf.
Die Katze faucht.
Die Mathearbeit am Vormittag war beschissen. Dämliche, verfluchte, dem Schlund des Höllentors entfahrene Mathematik! Flo hatte natürlich keine Probleme damit. Er fand die Aufgaben »so leicht, wie wenn man in einer Gilde mit Level-Stop spielt«. Damit hatte er gegenüber Lukas und mir schon zwei Sünden begangen. Erstens: Mathe mögen. Zweitens: World-of-Warcraft- Fachchinesisch sprechen. Aus Strafe muss er jetzt mit uns FIFA
12 auf der Playstation 3 spielen. Bei sich zu Hause, da ich nur einen PC habe und da bei Lukas die kleinen Geschwister ständig auf einem herumturnen wie nervöse Waschbären. Flo nutzt die Konsole meistens für Rennspiele, wenn er mal Pause von WoW macht. Fußball bleibt ihm so fremd wie uns Mathe. Das war ein Grund mehr für Lukas, das Spiel mitzubringen. Er lacht sich immer kaputt, wenn Flo naiv guckend seine unglaublichen Fragen stellt. Jetzt gerade zum Beispiel sucht er sich seit zwei Minuten eine Mannschaft aus. Lukas hat sich längst entschieden und Borussia Dortmund auf Controller 1 gelegt. Auf der rechten Seite des Bildschirms blättert Flo die Wappen durch.
»Wo ist denn Saarbrücken?«, fragt er.
»Wie, Saarbrücken?«, stutzt Lukas.
»Ja, Saarbrücken halt. Hauptstadt des Saarlands.«
»In der dritten Liga. Die dritte Liga ist in dem Spiel nicht drin. Nur erste und zweite.«
»Wieso sind die in der dritten Liga?«
»Ja, wie, wieso? Weil sie halt nicht gut genug sind.«
»Aber Saarbrücken ist doch Hauptstadt eines Bundeslandes.«
Lukas dreht den
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