Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Kopf zu mir, den Controller in der Hand. Ich sitze auf Flos Bett und zucke mit den Schultern. Lukas sagt: »Das ist jetzt nicht dein Ernst, Flo, oder? Du denkst jetzt nicht wirklich, dass jede der sechzehn Landeshauptstädte eine Mannschaft in der ersten oder zweiten Liga haben muss?«
»Nicht?«
Flo denkt das tatsächlich.
Lukas gibbelt los.
»Ja, was?«, Flo hebt den Controller und deutet auf den Fernseher. Er blättert die Wappen durch. »Hier sind sie doch alle! München? Hauptstadt von Bayern! Hannover? Hauptstadt von Niedersachsen! Mainz? Hauptstadt von Rheinland-Pfalz!«
Lukas krümmt sich vor Lachen auf dem Teppich. Dicke, zähflüssige Glitzertränchen kleben wie Klebstofftropfen unter seinen Augen. »Ja«, grölt er und hält sich den Bauch, »und Schalke, Hauptstadt von Ruhrpott, oder was?«
Flo wedelt mit dem Controller. »Ja, nun …«
Ich knistere mit der Hand in der Weingummitüte herum, die neben mir auf der Matratze liegt. Die Matratze ist immer noch mit dem Spannbettlaken bezogen, das Elvar angebracht hat. Dabei ist es zwei Wochen her, dass die Männer hier um die Tauglichkeit für Flos Mutter kämpften. Sophia und Flo haben seit diesem Tag kein Wort mehr über Männer oder Väter geredet. Und wir drei haben keine aktuelle Quest. Was nichts daran ändert, dass wir die Leute, die uns begegnen, immer noch mit den vier Ms bewerten.
»Aber die haben doch alle viel Geld, diese Hauptstädte«, bleibt Flo hartnäckig. »So durch Steuern und alles.«
Lukas wischt über seine Lachklebstoffklumpen, doch sie bleiben haften. »Flo, denkst du, Fußballvereine werden von der Stadt bezahlt, in der sie sich befinden? Das ist ein Privatgeschäft, du Waldtroll!«
Flo presst die Lippen zusammen, wählt aus dem Menü den VfB Stuttgart aus und sagt: »Die Gegenstände, die das Stufe-60-PvP-Design verwenden, sind nicht transmogrifizierbar.«
Ich höre auf, Weingummi zu kauen, und Lukas starrt Flo stumm an. Flo grinst wie ein Frosch, der soeben eine lineallange Libelle gefressen hat. »Das war World of Warcraft -Fachsprache. Voll pipi für den Insider. So wie für euch der Fußballkram!«
Lukas seufzt. Das Spiel startet. Die Figuren betreten den Platz. Dortmund gegen Stuttgart. Lukas spielt schnell über drei Stationen und macht mit Mario Götze nach nicht mal drei Sekunden das 1:0. Flo wirft den Controller auf den Teppich.
»Wisst ihr, was voll scheiße ist?«, sagt Lukas, während auf dem Fernseher seine Spieler jubeln und das Publikum auf der Tribüne tobt. »Dass bei unseren Jugendspielen keiner so richtig Radau macht. So Jubel und Anfeuern und so. Das ist wichtig für einen Stürmer wie mich. Ich muss Tore machen. Nächste Saison kommen die Scouts. Vielleicht sind sogar jetzt schon welche da, so heimlich, inkognito.«
»Talentsucher?«, vergewissere ich mich.
»Ja, von den großen Clubs. Da muss man Tore machen. Und ein Ball wird nicht nur von meinem Fuß, sondern auch vom Publikum ins Tor getragen.«
»Aber wir sind doch bei euren Heimspielen immer da. Und unsere Eltern. Und die Eltern aller anderen Spieler. Und Vivien.«
»Ja, aber die stehen dann nett am Rand beisammen, trinken Kaffee und essen Kuchen und plaudern über die Geschäfte. Die gehen gar nicht richtig mit. Die klatschen nur, nachdem man ein Tor gemacht hat. Die müssen aber klatschen, damit man ein Tor macht! Wie im großen Stadion.«
Wir hören schmale Füße die Holztreppe hinauftapsen. Füße in sanften Söckchen aus Bambus. Das gibt es, Stoff aus Bambus. Es steht auf den Söckchen, unter der Sohle. Sophia öffnet die Tür, lässt ihre Hand auf der Klinke liegen und sieht uns so erstaunt an, als würde draußen vor der Tür ein Erdbeben das ganze Bundesland auf seiner Bodenplatte schräg hochklappen, sodass am Horizont tausend Häuser wie Moosflechte an einem gigantischen Brett kleben.
»Ja, sagt mal, Jungs, ihr spielt hier einfach so ganz in Ruhe. Riecht ihr das denn nicht?«
Wir wissen nicht, was sie meint, und halten die Nasen in die Luft wie Hunde.
»Nö.«
»Nö???« Sophia kann es nicht glauben. »Kommt mal mit!«
Wir stehen auf und folgen ihr ins Wohnzimmer. Der Buddha sitzt wieder an seinem Platz. Jetzt rieche ich schon was, aber nur schwach. Lukas und Flo lassen die Nasenflügel flattern. Sie merken gar nichts. Sophia dafür umso mehr. »Das stinkt wie der Rachen des Teufels. Was kann das bloß sein?« Sophia läuft durch den Raum, schaut hinter das Regal und robbt dann auf Knien über den Boden, um in Knöchelhöhe
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