Finns Welt - 02 - Finn reloaded
an den Wänden zu schnuppern. »Das ist irgendwie auf dieser Höhe.« Sophia robbt und zittert mit der Nase wie eine Ameisenbärin. Was hat Opa vor seiner Abreise gesagt? »Ich bin die alte Schule. Du bist die neue Schule. Die, die dazwischen gelandet sind, die machen es sich sehr schwer im Leben.« Sophia steht wieder auf und klatscht die Hände links und rechts an ihre Oberschenkel. »Nee, ganz ehrlich, das kann ich so nicht lassen.«
»Was denn lassen, Mama?« Flo rennt durch das Zimmer, den Blick auf Boden und Wänden. »Hier ist doch nix.«
»Doch! Das ist schon seit heute Morgen. Und ich hab das Gefühl, das wird stündlich schlimmer. Ich dachte die ganze Zeit: ›Sophia, du bildest dir das nur ein.‹ Aber ich bilde mir das nicht ein. Finn, du hast doch so gute Sinne. Sag nicht, du riechst auch nichts, sonst denke ich, ich habe einen Gehirntumor.«
»Etwas faulig und scharf und bitter, aber vor allem ein bisschen ätzend sauer«, sage ich.
Flo schüttelt den Kopf. Sophia geht durch den Flur ins Nebenzimmer, in dem sich die Bibliothek befindet. Sie hat ein paar Tausend Bücher, ordentlich gesammelt in einem wirklich riesigen Regal. »Ihre Schatzkammer« nennt sie das. Den Raum haben wir den Männern vor zwei Wochen gar nicht erst gezeigt, da in die Schatzkammer nur reindarf, wer schon mit Sophia zusammen ist. »Vielleicht kommt das ja hierher«, sagt sie, hockt sich hin, nimmt ein paar Lexika aus einem unteren Fach und steckt den Kopf zwischen den Rest der Bücher. »Schnuff, schnuff, schnuff«, macht es im Papier. Das seidene Hauskleid Sophias macht jede ihrer Bewegungen mit wie eine flüssig animierte Textur in einem Videospiel. Obwohl, so flüssig hat das noch nie jemand programmieren können.
»Was ist das nur?«, seufzt Sophia und richtet sich wieder auf. Als sie steht, ist ihr rechter Fuß Richtung Haustür gerichtet. Das habe ich auch bei der Körpersprache nachgeschlagen. Es heißt »Fluchtstellung«. Jemand steht zwar, will aber weg. Nach draußen. Hilfe holen zum Beispiel.
»Also, ich riech nix«, bekräftigt Flo noch mal und funkelt mich an, weil ich seiner Mutter zustimme.
Ich hatte recht mit dem Fluchtfuß. Sophia hat Hilfe geholt. Es ist Abend und alle unsere Eltern sind jetzt hier, um ihre eigene Quest Finde die Quelle des Gestanks durchzuziehen. Meine Mutter und Anja Lindner stimmen Sophia zu, dass es »bestialisch riecht«. Mein Vater und Stefan Lindner meinen, »es müffele schon ein bisschen«.
Man müsste mal untersuchen, ob die Nasen von Frauen und Männern so verschieden empfindlich sind wie die von Katzen und, na ja, Stofftieren zum Beispiel. Ob unsere Väter den Frauen aber nun zustimmen oder nicht, sie müssen so oder so helfen. Im Wohnzimmer sind bereits alle Möbel in die Mitte des Raumes gerückt worden. Die Küchenschränke sind ausgeräumt und tausend Schüsseln, Teller und Mixgeräte stehen herum wie auf dem Trödelmarkt. Jetzt gerade räumen die Erwachsenen die Bibliothek aus, Buch für Buch. Sie stapeln die Bände auf der Treppe, im Flur und in dem Teil des Wohnzimmers, der noch frei ist. Es ist kompletter Irrsinn. Bloß weil es ein bisschen riecht, leeren sie ein Regal, das größer ist als Luxemburg. Sophia hat sich daran festgebissen, dass die Ursache für den Gestank unter dem Regal verborgen sein muss. Die untersten Fächer haben vorne eine Holzabdeckung und sind dahinter hohl. Man muss das ganze Gebilde von der Wand rücken, um nachzusehen.
»Flo, jetzt hilf mal mit hier«, schimpft Sophia, während die Erwachsenen wie Feuerwehrleute, die bei der Flut Sandsäcke schleppen, zwischen Bibliothek und Treppe hin- und herrennen. Sie gucken voll ernst dabei, geschäftig wie Ärzte auf dem Weg zum OR
Flo verschränkt die Arme vor der Brust und deutet mit der Nase auf das Regal. »Was soll denn da sein, Mama? Wir haben keine Katze, die dahinter kacken könnte. Tote Fliegen stinken nicht. Und ein altes Wurstbrot habe ich da sicher auch nicht vergessen.«
»Schimmel zum Beispiel. Oder Pilz. Das kann in jedem Haus passieren. Und wenn man nicht früh genug eingreift, wandern die Sporen in die Lunge und man stirbt.«
»Also, Sophia«, wendet Stefan Lindner ein, der immerhin als Dachdecker jeden Tag mit Hausbau zu tun hat, »so schnell stirbt man auch davon nicht.«
Sophia zieht die Augenbrauen hoch und hebt den Finger. »Man stirbt. Und basta!«
»Gut, dann stirbt man eben.«
»Voran!«, sagt mein Vater und keucht. »Ich muss bis morgen Mittag noch ein paar Bücher
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