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Finster

Titel: Finster Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Der frische kühle Wind, die wehenden Blätter? Der Geruch von Holzrauch in der Luft?«
    »Wirklich überwältigend«, sagte ich.
    »Oje, du bist frustriert.«
    »Ich wollte nichts als einen Spaziergang machen.«
    »Ich weiß, ich weiß. Und du gehst ja auch spazieren.«
    »Aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.«
    »Es ist viel besser«, sagte er. »Ich leiste dir Gesellschaft.«
    »Ob ich will oder nicht.«
    »Natürlich willst du. Du bist nur zu plebejisch, es zuzugeben.«
    »Ja, klar.«
    »Streite es ruhig ab. Wir wissen beide, dass du mich anziehend findest. Tief im Inneren begehrst du mich. Der Gedanke, mich zu küssen, lässt dein kleines Herz höher schlagen.«
    »Bei dem Gedanken, dich zu küssen, wird mir schlecht.«
    »Sollen wir es ausprobieren?«
    Mein Herz schlug nicht höher, es blieb fast stehen.
    »Denk nicht mal dran«, sagte ich.
    »Ein kleiner Kuss. Ich weiß, dass du es willst.«
    »Nein.«
    Er drängte mich vom Bürgersteig. Mit beiden Händen drehte er mich zu sich und schob mich mit dem Rücken gegen einen Baum.
    »Nicht.«
    »Es wird dir gefallen. Ich weiß es.«
    »Nein.«
    »Doch.« Sein Gesicht kam näher. »Doch«, sagte er noch einmal.

    Ich drehte meinen Kopf zur Seite.
    Seine Lippen strichen über meine Wange. »Nur einen Kuss«, sagte er.
    »Nein.«
    »Du willst doch, dass ich gehe, oder?«, flüsterte er. »Ich gehe, wenn du mich küsst. Ich lass dich allein und laufe nicht zu Eileen. Ich gehe in meine Wohnung, du kannst deine heimliche Flamme treffen, und niemand wird je erfahren, dass irgendwas geschehen ist.«
    »Ich habe keine heimliche Flamme.«
    »Lügen haben kurze Beine.«
    »Und ich werde dich nicht küssen.«
    »Hast du Angst, es könnte dir gefallen?«
    »Leck mich.«
    »Klar, wenn dir das lieber ist.« Mit einer Hand drehte er mein Gesicht zu sich, dann drückte er seinen Mund auf meinen. Ich kniff die Lippen zusammen. Stöhnend versuchte er, seine Zunge in meinen Mund zu schieben. Dann spürte ich, wie er mit der anderen Hand meinen Schritt streichelte.
    Meine Faust traf ihn am Solarplexus. Sein Atem zischte gegen meinen Mund, und er klappte vornüber. Rückwärts stolperte er quer über den Bürgersteig und landete mit dem Hintern in einem Vorgarten. Dort blieb er sitzen, umklammerte seinen Bauch und keuchte.
    »Du hast deinen Kuss bekommen«, sagte ich. »Jetzt geh nach Hause.«
    Er hob nicht einmal den Kopf.
    Mit dem Handrücken wischte ich meinen Mund ab, dann drehte ich mich um und rannte davon. Am Ende des
Häuserblocks warf ich einen Blick zurück. Er kauerte auf allen vieren auf dem Bürgersteig und sah mir hinterher.

54
    Ich überquerte die Fairmont Street, rannte an einer Seitenstraße vorbei und bog an der nächsten Ecke links ab. Durch das Laufen nahm der Schmerz in meinem Kopf zu und wurde zu einem quälenden Hämmern. Mir war klar, dass ich mich auffällig verhielt. Wenn man läuft, um Sport zu treiben, trägt man die entsprechende Kleidung. Shorts oder einen Trainingsanzug. Nicht Jeans und Hemd.
    Spätnachts hatten meine Kleider keine große Rolle gespielt; es war fast niemand unterwegs gewesen, der sie hätte sehen können. Aber zu dieser Zeit waren die meisten Erwachsenen noch wach. Und weil es Freitagabend war, waren viele wahrscheinlich ins Kino oder zu Freunden gegangen. Einige waren auch zu Hause geblieben. Fast jedes Haus war gut beleuchtet. Durch die Panoramafenster konnte ich Leute in ihren Wohnzimmern erkennen. Ein paar sahen fern oder lasen, andere schienen Partys zu feiern.
    Die meisten Leute in den Häusern bemerkten mich wahrscheinlich nicht. Aber ich wurde auf jeden Fall von einigen Menschen auf der Straße gesehen. Sie schienen überall zu sein: auf dem Weg zu oder von ihren Autos; allein oder zu zweit bei einem Spaziergang; unterwegs mit ihren Hunden; beim Joggen oder Walken - natürlich in angemessener Kleidung; rauchend vor ihren Häusern; in
ihren PKW, Lieferwagen, Geländefahrzeugen oder Pick-ups auf der Straße.
    Es ging mir durch den Kopf, dass Randy vorbeifahren und mich entdecken könnte, aber der Gedanke beunruhigte mich nicht besonders. Zum einen hämmerte der Schmerz in meinem Kopf so heftig, dass ich mich auf kaum etwas anderes konzentrieren konnte, zum anderen machte ich mir größere Sorgen darüber, dass Kirkus mich wiederfand.
    Er verfolgte mich wahrscheinlich. Vielleicht hatte ich ihn abgehängt, aber darauf konnte ich mich nicht verlassen. Ich musste irgendwohin, wo er mich nicht sehen konnte. Ein Versteck

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