Finster
Ich konnte sie nicht mit Lois’ Tasche und den Waffen entkommen lassen.
Als sie ungefähr fünfzig Meter Vorsprung hatte, begann sie in die Pedale zu treten. Ich rannte, so schnell ich konnte, doch es war nicht schnell genug. Ich spürte, wie Blut an meinen Schienbeinen herabtropfte.
Der Abstand zwischen uns wurde größer.
In der Ferne rollte sie um eine Ecke, ohne den Lenker auch nur zu berühren. Sie hielt die Tasche an ihre Brust gedrückt.
Als ich die Kreuzung erreicht hatte, war sie nirgendwo mehr zu sehen. Ich stolperte noch einen halben Häuserblock entlang, dann hörte ich auf zu rennen und ging in normalem Tempo weiter.
Ich hatte sie verloren.
Lois’ Tasche und ihre Pistolen waren verloren.
Jetzt ist die Hexe bewaffnet.
Ich stöhnte.
Ich hatte gedacht, die schwere Tasche würde sie im Gesicht treffen und vom Fahrrad werfen.
Eigentlich hatte ich gar nichts gedacht, es war eher ein Reflex gewesen.
Als ich mich der nächsten Ecke näherte, wurde die Kreuzung vor mir in Licht getaucht.
Scheinwerfer.
Ich wartete nicht, bis das Fahrzeug auftauchte, sondern lief schnell zum Bürgersteig hinüber. Die Lichter schwangen in meine Richtung, doch ein Baum gab mir Deckung. Als der Lichtstrahl über mich hinweggeglitten war, spähte ich um den Baumstamm herum.
Ein schwarzer Lieferwagen.
Er sah aus wie der Lieferwagen, der letzte Nacht in der Nähe der Fairmont-Street-Brücke neben mir gehalten hatte, mit der unheimlichen Frau am Steuer und dem kichernden Mann hinten drin.
Der Wagen kam langsam auf mich zu.
Wahrscheinlich ist es nicht derselbe, sagte ich mir.
Dann dachte ich: Was, wenn die Fahrerin mich gesehen hat und anhält und die ganze Bande herausspringt und auf mich losgeht?
Wäre das nicht herrlich?
Der Wagen fuhr zwar langsam, aber er hielt nicht, sondern rollte an meinem Baum vorbei weiter die Straße entlang.
Ich starrte ihm nach und rechnete damit, dass die Bremslichter aufleuchteten.
Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht.
Sie leuchteten auf, strahlten hellrot, und mein Herz schien aufzuhören zu schlagen. Der Lieferwagen fuhr noch langsamer. Dann bog er rechts ab.
Ja!
Was, wenn es ein Trick ist? Vielleicht sollte ich noch eine Weile hinter dem Baum versteckt bleiben, für den Fall, dass sie zurückkommen.
Gute Idee, dachte ich.
Ruh dich aus.
Ich drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken gegen den Baum und schloss die Augen.
Nur ein oder zwei Minuten Ruhe, sagte ich mir. So kann ich ohnehin nicht weitermachen. Außerdem, was soll das bringen? Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich weiß nicht, wohin Randy Eileen gebracht hat. Die Hexe ist mit den Pistolen weggeradelt, und ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt ist. Ich weiß von niemandem, wo er oder sie ist. Alles am Arsch.
Und wo um Himmels willen ist Casey? Wenn Casey nur hier wäre.
Ist sie aber nicht.
Doch in Mudville ist die Stimmung trüb.
Wenigstens kann ich mich ausruhen.
Am liebsten hätte ich mich hingelegt, in das schöne weiche Gras. Aber dazu hätte ich mich bewegen müssen, und das wollte ich nicht. Sich einfach an den Baum zu lehnen war schon in Ordnung.
Ich werde wohl niemals sehen,
ein Bett wie ein Baum so bequem …
Ich muss weiter.
Ich muss Eileen finden.
Aber wie?
Keine Ahnung.
Ich sollte ein Telefon suchen und die Polizei anrufen. Vielleicht können die sie finden.
Wenn ich nur wüsste, wo ich ein Telefon finden kann.
Warum mache ich es nicht wie Casey und schleiche einfach in das nächste Haus?
Nein, nein, nein.
Denk dran, was beim letzten Mal passiert ist.
Wahrscheinlich gibt es bei Dandi Donuts eine Telefonzelle. Aber wo ist Dandi Donuts?
Wo Alph, der heilige Fluss, lief
durch Höhlen, unermesslich dem Menschen,
hinab zu einem sonnenlosen Meer.
Keine heiligen Flüsse in der Nähe. Nur der Old Mill, und der ist meilenweit von Dandi Donuts entfernt.
Und Meilen gehn, bevor ich schlaf …
Schlaf jetzt bloß nicht ein!
Kein Problem. Ich ruh mich nur kurz aus.
Genug ausgeruht, geh los und such Eileen. Randy hat sie sich geschnappt.
Ich weiß, ich weiß, ich weiß! Ich weiß nur nicht, was ich dagegen tun soll!
Zunächst mal könntest du dich langsam in Bewegung setzen.
Ich kann nicht.
Doch, du kannst. Stoß dich einfach vom Baum ab und geh los.
Gleich. Nur einen Augenblick noch.
Okay, nicht sofort, aber sehr bald.
Bald.
Dann spürte ich plötzlich Hände auf meinen Schultern. Einen Moment später küssten warme, feuchte Lippen meinen Mund.
Wie schön, dachte ich.
Es wurde noch
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