Finster
infrage.
Probier es aus.
Meine Aufregung und meine Angst wuchsen.
Keine große Sache, dachte ich. Steh einfach auf, geh zur Tür und sieh nach, ob sie abgeschlossen ist. Warum nicht? Was soll schon passieren? Wenn ich dabei erwischt werde, kann ich so tun, als wäre ich betrunken oder verwirrt und
versehentlich am falschen Haus gelandet. Jedenfalls ist es ja wohl kein Verbrechen, ein Türschloss zu prüfen.
Kein Verbrechen, aber falsch. Ich wusste, dass es falsch war, wusste, dass es eine schlechte Idee war (genau wie letzte Nacht unter die Brücke zu gehen), stand aber trotzdem auf. Regungslos blickte ich mich aus meiner Ecke der Veranda in der Nachbarschaft um. Teilweise waren die Straßen gut beleuchtet. Aber Bäume warfen Schatten auf den Asphalt und die Rasen vor den Häusern. Überall waren die hellen Stellen von dunklen Partien umgeben.
Jeder konnte dort lauern und mich beobachten. Oder hinter einem parkenden Auto. Oder hinter einem Gebüsch. Oder in einem Haus auf der anderen Straßenseite.
Andererseits stand ich selbst im Dunkeln und war wahrscheinlich kaum zu erkennen.
Also ging ich zur Tür, langsam und mit vorsichtigen Schritten. Ein paarmal quietschten die Bodendielen unter meinen Füßen. Die Geräusche ließen mich erschaudern, auch wenn sie so leise waren, dass niemand sonst sie gehört haben konnte.
Es kann nicht wahr sein, dass ich das wirklich tue, dachte ich.
Doch ich tat es.
Der Weg zum Eingang schien eine Ewigkeit zu dauern. Ich konnte die Tür nicht einmal sehen, obwohl ich ungefähr wusste, wo sie sich befand … vom Ende der Verandatreppe einfach geradeaus.
Mit einer Hand ertastete ich in der Dunkelheit ein festes, engmaschiges Netz.
Zwei Türen, nicht eine. Das verdoppelte meine Chancen, nicht hineinzukommen.
Ich tastete an dem Fliegengitter nach unten und zur Seite und fand die Klinke.
Tu’s nicht.
Ich zog sanft, und die Fliegengittertür öffnete sich. Die Angeln waren offenbar gut geschmiert, denn es war kaum ein Geräusch zu hören.
Die erste Hälfte ist geschafft.
Was mach ich hier?
Ich hielt die Fliegentür mit der Schulter offen und berührte die innere Tür. Weiches Holz, mit glatter, lackierter Oberfläche. Der Griff war kalt und fühlte sich nach schwerem Messing an. Mit dem Daumen drückte ich langsam den Knopf hinein. Er sank tiefer und tiefer, und ich hörte, wie der Riegel zurückglitt.
Ich drückte vorsichtig gegen das Holz. Die Tür öffnete sich ein paar Zentimeter.
Heilige Scheiße, sie ist offen!
Jetzt mach sie zu und verschwinde!
Ich schob die Tür ein wenig weiter auf. Obwohl ich wusste, dass sie offen war, konnte ich weder den Rahmen noch die Tür noch den Spalt dazwischen sehen.
Verflucht dunkel da drin.
Ich wäre wirklich unsichtbar.
Denk nicht mal daran.
Ich hatte mein ganzes Leben noch kein fremdes Haus betreten, ohne eingeladen worden zu sein. Ich hatte nie jemanden betrogen, nie geklaut, nie absichtlich eine rote Ampel überfahren, nie in wichtigen Dingen gelogen, nie
jemanden schikaniert, nie eine Schlägerei angefangen, eigentlich überhaupt nie etwas besonders Unmoralisches oder gar Illegales getan …
Du hast letzte Nacht diesen Mann umgebracht.
Wenn ich ihn wirklich getötet hatte, war es Notwehr. Und Randy ins Bein zu stechen war ebenfalls Notwehr gewesen.
Und ich habe die Tequila-Frau beobachtet.
Das war tatsächlich ziemlich verwerflich. Aber lange nicht so schlimm, wie mitten in der Nacht in ein fremdes Haus zu schleichen.
Wenn ich das tue, habe ich eine gewisse Grenze überschritten. Wo wird das enden? Vielleicht hört es nicht damit auf, dass ich das Mädchen beim Schlafen beobachte. Vielleicht lasse ich mich dazu verleiten, die Decke wegzuziehen, und schließlich werde ich …
Nein! Ich werde nur beobachten.
Tu das nicht! Schließ sofort die Tür und verschwinde, so schnell du kannst!
Ehe ich die Tür zuziehen oder weiter öffnen konnte, wurde mir der Griff aus der Hand gerissen.
34
Ich schnappte erschrocken nach Luft. Irgendjemand im Haus und dicht vor mir reagierte genauso.
Das Mädchen?
Eine tiefe raue Stimme murmelte: »Bauinspektor.«
»Was?«, fragte ich.
Eine Hand drückte gegen meine Brust. »Keine Panik«, sagte das Mädchen und schob mich zur Seite. Während sie an mir vorbeiging, fügte sie hinzu: »Sie haben mit Bravour bestanden.« Dann tat sie einen Satz nach vorn, rannte über die Veranda und sprang die Treppe hinab. Im Licht der Laternen war nur ihre Silhouette zu erkennen. Sie schien für
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