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Finsterau

Finsterau

Titel: Finsterau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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kamen sie der alten Frau vor. Theres brauchte die Stimmen nicht zu hören, um zu wissen, was sie einander zuflüsterten: »Schau mal, da drüben, die Zaunerin.«
    »Wie sie sich über den Friedhof schleicht! Dass sie sich hertraut an so einem Tag!«
    »Der Alte hat die Afra umgebracht, wegen dem Bankert.«
    »Mit einem Franzosen hat sie sich eingelassen, die Afra, und da hat der eigene Vater sie erschlagen. Eine Schande ist es.«
    »Aber wissen tut man ja nie, vielleicht war da noch mehr dran. Unter den Nazis da war der Alte doch auch schon eingesperrt. Einmal Zuchthäusler, immer Zuchthäusler.«
    »Die Geschichte mit dem Franzosen, die weiß ich ganz genau, ich hab’s von meiner Schwägerin, die hat eingeheiratet drüben in Polzhausen, da hat die Afra als Kellnerin gearbeitet.«
    »Ein Gschwerl ist das.«
    Theres ging weiter, tat so, als würde sie die beiden nicht sehen. Seit dem Unglück steckten die Leute im Dorf die Köpfe zusammen, wenn sie sie kommen sahen. Nicht die Toten waren es, vor denen man sich in Acht nehmen musste; die Lebenden, vor denen musste man Angst haben.
    Zur Beerdigung waren noch alle erschienen. Der ganze Friedhof war voll gewesen, nie zuvor hatte sie so viele Menschen auf einmal gesehen. Auf den Gräbern sind sie gestanden, sogar auf der Friedhofsmauer. Ein jeder wollte einen Blick auf das Grab werfen. Alle hatten sie darauf gehofft, dass auch Johann dabei sein würde.
    »Der alte Zauner, der Mörder.«
    Aber sie hatten ihn nicht nach Hause gelassen, und das war gut so. Er hätte es nicht verstanden, wie er in letzter Zeit so vieles um sich herum nicht mehr verstand. Jeden Tag ging sie auf den Friedhof und am Sonntag in die Kirche, und einmal im Monat ließen sie sie zu Johann. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, erschrak sie mehr, er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er erkannte sie jetzt oft nicht einmal mehr, wenn sie ihn besuchte. Und wenn Theres anfing, von Afra und dem Kind zu erzählen, schien es ihr, als würde er nicht wissen, von wem sie sprach. Für sie war dieser Zustand unerträglich, denn sowurden ihr die Tochter und der Enkel ein zweites Mal genommen.
    Die Zaunerin drückte die Gießkanne mit beiden Händen ins Wasser des steinernen Trogs. Sie sah zu, wie Luftblasen aus dem Inneren der Kanne aufstiegen. Zuerst hatte sie der Allerheiligenprozession fernbleiben wollen, aber dann war sie doch gegangen. Ganz weit hinten hatte sie gewartet, war erst vor zum Grab, als auch die Letzten den Friedhof nach dem Umgang verlassen hatten.
    Sie zog die Kanne aus dem Wasser. Mit der schweren Gießkanne ging sie die Gräberreihen entlang zurück zur Grabstelle. Der Kies knirschte bei jedem Schritt. Sie stellte die Kanne neben das Grab, brach die welken Blütenstängel ab, legte sie beiseite und goss die Blumen. Danach befüllte sie den Weihwasserkessel. Sie griff in die Jackentasche und wollte gerade das Seelenlicht herausholen, da hörte sie die Stimme.
    »Gibst ihnen ein Wasser, damit die Qualen im Fegefeuer gemildert werden?«
    Theres drehte sich um, hinter ihr stand Hetsch.
    »Hast du mich erschreckt. Was machst du noch hier? Die Prozession ist vorbei. Warum bist nicht bei den anderen im Wirtshaus?«
    Theres holte die Kerze aus der Tasche.
    »Vielleicht treibt mich was um? Wie die armen Seelen, die sollen ja heute in der Nacht über die Gräber laufen.«
    »Was willst damit sagen?« Die alte Frau schaute ihn fragend an.
    »Hast das noch nicht gehört, Zaunerin? Heut Nacht kannst sehen, wen die Toten im nächsten Jahr zu sich holen wollen. Vielleicht aber treibt mich auch nur das schlechte Gewissen um, genau wie dich. Du hast mich doch gesehen, wie ich draußen war an dem bewussten Tag, oder?«
    »Ich hab keinen gesehen, ich war den ganzen Tag unterwegs.«
    Theres wollte sich wegdrehen, doch Hetsch hielt sie am Arm fest.
    »Aber du warst doch da, zumindest in der Früh, ich hab doch den Lärm gehört.«
    »Nix war ich. Ich war in Einhausen, Hetsch. Sonst wär das Unglück auch nie passiert.«
    Hetsch ließ sie los, stand da, nestelte mit den Fingern an seiner Jacke. Den Blick hatte er an ihr vorbei auf den Grabstein gerichtet, klein und schmal sah er mit einem Mal aus, dabei ging sie ihm nicht mal bis zur Schulter. All die sonst so gern zur Schau gestellte Forschheit war weg.
    »Ich hab die Afra immer recht gern gesehen, und da wollte ich es halt wissen an dem Tag. Auf Biegen und Brechen wollte ich es wissen. Ich hab mir gedacht, ich bleib so lange, bis sie ja sagt, aber dann ist alles

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