Finsterau
hätte die Afra umgebracht, weil er gedacht hätte, sie wäre vom Teufel besessen. Oder der Franzose, der Vater von dem Kind, sei aufgetaucht, und weil die Afra ihm das Kind nicht mitgeben wollte, da hätte er sie beide erschlagen. Jeden Tag, so erschien es ihr, tauchte ein neues Gerücht auf. Sie wusste weder ein noch aus, und als sie sich schließlich gar nicht mehr zu helfen wusste, ging sie zur Polizei. Sagte, dass es der Johann nicht gewesen sein konnte, weil er es ihr doch geschworen hatte bei allem, was ihm heilig war. Die Beamten waren freundlich, aber bestimmt. Sie erklärten Theres, sie werde sich damit abfinden müssen, so schwer es auch für sie selbst sei, aber Tochter und Enkel seien beide von ihrem Mann erschlagen worden, und der habe die Tat auch schon dem Herrn Kriminalrat mehrfach eingestanden. Wenn er ihr gegenüber leugnete, so doch nur, weil er die Scham nicht ganz verloren habe und es nicht übers Herz bringe, ihr die Wahrheit zu sagen.
Damals ging Theres nach Hause, legte sich ins Bett, und nachdem sie die ganze Nacht geweint hatte, fing sie an, ihr Leben neu zu ordnen. Es war nicht das erste Mal. Sie hatte sich mit Afra allein zurechtfinden müssen, nachdem Johann abgeholt und in Schutzhaft gebracht worden war. Sie hatte gelernt, damit zu leben, als er nach seiner Entlassung fast jede Nacht im Schlaf schrie. Wenn sie es damals nicht mehr hatte aushalten können, dann war sie in der Nacht aufgestanden und hinüber in die Küche gelaufen. Dort hatte sie sich auf die Bank neben dem Kruzifix gesetzt und hinaus ins Dunkel geschaut. So lange, bis sie schließlich so müde geworden war, dass sie die Augen nicht mehr offen halten konnte. Manchmal hatte sie noch die Kraft und ging zurück ins Bett, meist aber schlief sie am Küchentisch ein.
Als Albert geboren wurde und Johann mit der Schande nicht leben wollte, war sie es gewesen, die die Familie zusammengehalten hatte. Er hatte immer seinen Herrgott, wollte alle immer auf den rechten Weg zwingen, und da sollte er die beiden umgebracht haben? Er war störrisch geworden in den letzten Monaten und eigen. Für das Kind hatte er keine Geduld,und an der Afra sah er nur das Schlechte, aber doch fiel es ihr schwer, zu glauben, was man ihr sagte.
Jeden Morgen stand sie auf, brachte das Haus in Ordnung, ging zum Friedhof, legte Blumen auf das Grab, und am Sonntag ging sie zur Messe. Einmal im Monat nahm sie die weite Reise auf sich und besuchte Johann im Gefängnis.
Und jedem, der sie fragte, sagte sie ins Gesicht, dass er es nicht gewesen sein konnte, denn er hatte es ihr bei Gott und allem, was ihm heilig war, geschworen, und sie glaubte ihm.
Arzt
A ls der Arzt mit seinem Auto vorfuhr, saß die alte Frau zusammengekauert auf der Bank neben dem Haus. Der Polizist, der bei ihrem Mann zurückgeblieben war, hatte ihr gesagt, sie könnte nicht hinein, ehe sein Kollege mit der Mordkommission zurückgekommen wäre. Der Arzt sprach ihr gut zu, fühlte ihren Puls und gab ihr eine Spritze, dann sagte er ihr, sie sollte hier warten, er würde nach den Nachbarn schicken lassen, damit die sich um sie kümmerten. Ins Haus könnte sie eh nicht, solange die Untersuchung der Gerichtskommission nicht abgeschlossen wäre, und für sie selbst wäre es im Augenblick auch das Beste. Sie sollte schauen, bei Verwandten oder Bekannten unterzukommen, zumindest bis sich alles geklärt hätte. Sie saß da, sah ihn an und nickte.
Danach ging er in die Küche. Der Gendarm und Johann Zauner saßen beide am Tisch. Der Beamte sprang bei seinem Eintreten vom Stuhl hoch und begrüßte den Arzt, der alte Mann blieb sitzen, rührte sich nicht von der Stelle.
Das Nächste, was ihm auffiel, waren die Reste derVesper, die noch auf dem Tisch lagen. Das halbvolle Glas Wasser, das angebissene Stück Brot, etwas Rauchfleisch und Käse. Das Messer lag neben dem Teller. Später würde er dies bei seiner Aussage vor der Staatsanwaltschaft extra zu Protokoll bringen. Er würde sagen:
»Johann Zauner hat neben den am Boden liegenden Leichen gesessen, ohne jede Regung. Er hat Brotzeit gemacht in diesem Chaos, hat sich den Appetit nicht verderben lassen angesichts seines in dem eigenen Blute liegenden, sterbenden Enkels. Er hat sich nicht im Geringsten darum geschert. Auch nicht um die mit zertrümmertem Schädel auf dem Sofa liegende Tochter.«
Er würde weiter aussagen: »Johann Zauner ist, obgleich gläubiger Katholik und Mitglied des Dritten Ordens, ein kalter, emotionsloser Mensch, denn wie
Weitere Kostenlose Bücher