Finsterau
liegenlassen.
Darin fand Roswitha Haimerl, als sie den Gastraum für den Tag herrichtete, neben ein paar Rechnungen und einem Zwanzigmarkschein einen alten, vergilbten Zeitungsausschnitt. Neugierig geworden, faltete sie ihn auseinander.
»Hermann, schau einmal her. Kennst den nicht? Ist das nicht der Dr. Augustin?«
Sie hielt dem Wirt den Artikel hin. »Schau, da war er noch jung.«
Der Wirt nahm den Ausschnitt: »Lass sehen.«
Dann legte er ihn wieder zusammen und steckte ihn in seine Brieftasche.
»Weißt was, Roswitha, den Ausschnitt werde ichdem Augustin heute zeigen, wenn er zum Frühschoppen kommt. Das wird ein Fez, da bin ich jetzt schon gespannt, was er sagt. Vor allem, wenn ich ihm die Geschichte von dem besoffenen Sandler gestern erzähle.«
Afra
D ie Fensterläden sind die ganze Nacht halb offen gestanden, so kann die Schwüle des Tages entweichen und die kühlere Luft des Morgens ins Zimmer strömen. Mit ihr ist auch die Mücke hereingekommen, deren Summen sie nun geweckt hat. Die Augen noch geschlossen, liegt Afra in ihrer Bettstatt in der Kammer und lauscht. Das Geräusch wird stärker, wenn sich das Insekt nähert, und schwächer, wenn es sich wieder entfernt. Manchmal fliegt es sogar so nah an ihrem Gesicht vorbei, dass sie einen leichten Lufthauch auf ihrer Haut spürt. Afra liegt da, ruhig, wartet. Das Surren wird lauter, schließlich bricht es ab. Sie fühlt die Mücke auf ihrer Wange, bleibt noch einen Augenblick still liegen, dann holt sie mit der flachen Hand aus. Der mit Blut vollgesogene Körper der Schnake platzt, und die klebrige Flüssigkeit haftet an ihren Fingern und der Wange.
Afra öffnet die Augen. Angewidert wischt sie sich die Hand am Leintuch ab. Das Zimmer ist grau. Die wenigen Möbel heben sich dunkel von den Wänden ab.Es ist kurz vor Sonnenaufgang, Zeit aufzustehen. Sie schiebt die Zudecke beiseite; den kalten Lehmboden unter ihren nackten Füßen spürend, bleibt sie am Rand des Bettes sitzen und blickt hinüber zu Albert, der in seinem Kinderbettchen liegt und schläft. Das Kind ist ihr lieb und fremd zugleich. Es ist ihr Fleisch und Blut, und deshalb müsste sie es lieben, aber manchmal, wenn sie wie jetzt auf ihrem Bett sitzt, wünscht sie sich, es wäre nicht da, ihr Leben wäre einfacher. Sofort schämt sie sich, ermahnt sich selbst, dass es unrecht und eine Sünde ist, so zu denken, dass das Kind nichts dafürkann und es auch schöne Momente gibt, die sie nicht missen möchte. Aber trotzdem wird sie den Gedanken nicht los, er quält sie, kommt immer wieder. Nur an wenigen Tagen ist sie ganz frei davon, gestern war so ein Tag. Die Eltern sind in aller Frühe zur Messe gegangen und danach zu Verwandten. Afra und das Kind sind allein im Haus geblieben. Den ganzen Tag war vom Alpdruck, der sonst auf ihr lastete, nichts zu spüren gewesen. Um nicht mitgehen zu müssen, hatte sie vorgegeben, die Weißwäsche waschen zu müssen, und trotz der Plackerei war es der schönste Sonntag seit langem gewesen. In der Früh um vier Uhr war sie aufgestanden, hatte gefrühstückt und war hinaus in den Hof gegangen. Ehe die anderen im Haus wach wurden, stand sie bereits am hölzernen Trog und rieb die am Vorabend in Soda eingeweichte Wäsche Stück für Stück auf der Ruffel. Als sie den großen Topf mit Wäsche und Seifenlauge auf den Herd in der Küche gestellt hatte, waren Vater und Mutter gerade dabei gewesen, sich für den Kirchgangfertig zu machen. Nachdem sie fort waren, weckte sie Albert und zog ihn an, verrichtete die Arbeit im Haus, und von Zeit zu Zeit rührte sie die kochende Wäsche mit dem großen hölzernen Kochlöffel um. Das Kind lief wild hin und her, und sie hatte Angst gehabt, es könnte sich in einem unachtsamen Moment an der heißen Lauge verbrühen. So nahm sie es schließlich auf den Schoß, und gemeinsam sangen sie das Lied von der kleinen Hexe, die morgens um sechs aufsteht, um in die Scheune zu gehen. Immer und immer wieder sangen sie es, bis es Zeit war, die Wäsche aus der Lauge zu nehmen und im Hof erneut über das Waschbrett zu ziehen. Albert wurde nicht müde, so gut er konnte, zu helfen. Er trug die kleinen Stücke hinüber zum Grand, um sie dort im kalten Wasser des Brunnens auszuspülen, bis er von oben bis unten durchnässt und die Hände ganz blau waren vor Kälte. Afra zog ihm das nasse Gewand aus, trocknete ihn ab und setzte ihn mit einem Kanten Brot auf die Bank vor dem Haus, in die Sonne. Und als sie endlich die Wäsche geschweibt und zum
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