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Finsterau

Finsterau

Titel: Finsterau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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verzichten, auf ein Weiberleut schon. Ich brauche jeden, der hinlangen kann auf dem Hof und im Haus. Einen, der sich vor keiner Arbeit scheut. Mir ist es ganz gleich, wo einer herkommt, und der Franzmann, der kostet mich fast nichts. So, und jetzt hau ab, morgen in der Früh möchte ich dich nicht mehr sehen.«
    Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ sie alleine. Afra stieg hinauf in ihre Kammer, packte ihre gesamte Habe und ging. Den ausstehenden Lohn warf ihr die Wirtin erst vor die Füße, als sie danach verlangte. In der ganzen Schankstube rollten die Münzen über den Boden. Auf ihren Knien rutschte sie herum, um das Geld aufzusammeln. Der Wirt selbst hatte sich verleugnen lassen. Und den Brief, den sie für den Franzosen dagelassen hatte, verbrannten sie noch am gleichen Abend. Warum den Brief hergeben? Wenn die Arbeiter am nächsten Morgen herbeigekarrt werden, dann ist sie halt weg, die Afra, und alles wird weiter seinen geregelten Gang gehen. Das ist nur zu jedermanns Nutzen.
    Drei Tage und zwei Nächte war sie damals unterwegs. Sie radelte, bis ihr die Kräfte ausgingen, dann schob sie das Rad, und als sie nicht mehr konnte, machte sie eine kurze Pause am Waldrand oder aneinem Brunnen, wenn sie gerade an einem vorbeikam. Die erste Nacht mietete sie sich in einem kleinen Gasthof ein und brach gleich nach Sonnenaufgang auf. In der darauffolgenden Nacht fand sie einen Platz im Heu. Und dann, am späten Nachmittag, lag Finsterau auf einmal vor ihr. Das Elternhaus war noch kleiner und schäbiger, als sie es in Erinnerung hatte. Zwei Kammern, eine winziger als die andere, eine Küche und die Speis. Die Fenster zugige Löcher, selbst im Sommer roch es modrig feucht. Das Wasser musste aus dem Pumpbrunnen im Hof ins Haus geholt werden, und das Häusl stand gleich neben dem Misthaufen. Der Kanal war noch nicht bis hierher an den Dorfrand verlegt worden, und selbst wenn, die Eltern hätten es sich auch gar nicht leisten können, nicht vor dem Krieg, als die Zeiten noch besser waren, und jetzt erst recht nicht. Wenigstens das Elektrische war Anfang der zwanziger Jahre verlegt worden, kurz nachdem Afra geboren worden war. Die Mutter war so stolz darauf, nächtelang saß sie an der Nähmaschine. Flitterarbeit, ein Zubrot, denn der Vater verdingte sich sein Lebtag, erst als Tagelöhner und später dann als Streckenarbeiter, bei der Bahn. Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Häusler eben. Dieser ganzen Not hatte sie entfliehen wollen, weggelaufen war sie damals von zu Hause, nur um wieder zurückzukommen. So stand sie im Hof und blickte sich um. Die Haustür war wie immer sperrangelweit offen und gleich neben der Tür der weiße Eimer mit der Schöpfkelle. Von frühester Kindheit an war es ihre Arbeit gewesen, den Eimer mit frischem Brunnenwasser zu füllen. Nichts hatte sich verändert, und nichts würde sich ändern, hier an diesem Ort war die Zeit stehengeblieben.
    »Für immer und ewig, Amen.«
    Und als wäre sie nie von zu Hause fortgegangen, nahm Afra damals den Eimer und ging hinüber zum Brunnen.
    Im April ’45 kam der Krieg auch in diesen Teil des Landes, und im Mai ging er dann zu Ende, kurze Zeit später kam Albert zur Welt. Dass sie von dem Franzosen schwanger war, hatte sie erst gemerkt, als sie schon wieder zu Hause war. Für ihre strenggläubigen Eltern eine Schande, ein Kind der Sünde. Und als müsste es den Umstand seiner unehelichen Geburt noch unterstreichen, zog an diesem Nachmittag aus heiterem Himmel ein Gewitter auf, machte den Tag zur Nacht. Ihre Mutter stellte die schwarze Wetterkerze ins Fenster und betete unaufhörlich und laut gegen den Sturm an, während in der Kammer ihr Enkelkind geboren wurde. Anfangs glaubte Afra noch, der Franzose würde jetzt, nachdem der Krieg zu Ende war, kommen und sie holen. Sie hatte ihm doch in ihrem Abschiedsbrief geschrieben, wohin sie gehen würde, aber als sich ihre Hoffnung nicht erfüllte, verblasste die Erinnerung an ihn immer mehr. Konnte sie sich zu Beginn noch an jede Einzelheit erinnern, bleichten die Bilder in ihrem Kopf aus wie häufig gewaschene Wäsche und verloren sich schließlich ganz. Als Erstes verschwand sein Gesicht. Eines Tages ertappte sie sich dabei, beim besten Willen nicht mehr sagen zu können, welche Farbe seine Augen hatten, dabei war es ihr doch vorkurzem noch gegenwärtig gewesen. Der Mund, die Nase, alles verschwand, übrig blieb eine leere helle Fläche. Dann vergaß sie auch den Klang seiner Stimme, die

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