Finsterau
Bischof nicht zulassen dürften.
Schon am nächsten Tag kamen sie und holten ihn ab. Er konnte sich erinnern, wie die Afra, die damals noch ein Kind war, in der Tür neben der Mutter gestanden hatte. Er konnte sogar sagen, welche Kleider die beiden damals trugen. Ja, er erinnerte sich daran, wie die Theres der Afra über den Kopf strich, als sie beide da standen und zusahen, wie sie mit ihm im Auto wegfuhren.
Sie hatten ihn mitgenommen und verhört.
Nach acht Wochen hatten sie ihn gehen lassen. Er überlebte die Schläge, den Spott, den Hunger und alldie anderen Schikanen, denn Gott der Herr war mit ihm. Ehe sie ihn gehen ließen, hat er noch unterschreiben müssen, dass er mit niemandem ein Wort über das sprechen würde, was er gesehen und erlebt hatte, sonst würden sie ihn wieder holen und nicht mehr gehen lassen. Er hielt sich daran. Er hatte mit niemandem darüber gesprochen, mit keinem. Kein einziges Wort. Nicht einmal mit seiner Frau. Mehr noch, er verbot sich selbst, daran zu denken, merzte alles aus seinem Gedächtnis aus, aus Angst, sie könnten ihn wieder abholen. Er wurde still, er lernte, nie wieder zu widersprechen, nie wieder aufzubegehren.
»Und ob ich schon wanderte im finstern Tal …«
Er konnte sich nicht erinnern. Auch wenn er sich noch so sehr anstrengte, es blieb verschwunden. Als hätte er in seinem Kopf ein großes schwarzes Loch, und wenn er nur einen Moment nicht aufpasste, verschwanden alle seine Gedanken und Erinnerungen darin. Er ging weiter auf und ab und stemmte sich gegen das Vergessen.
Afra
V or fast auf den Tag genau drei Jahren, im Sommer ’44, war Afra in ihr Elternhaus zurückgekehrt, mit einem alten Fahrrad und ihren wenigen Habseligkeiten war sie vor der Tür gestanden. Ohne Ankündigung, einfach so. Jahrelang hatte sie sich nicht mehr zu Hause blicken lassen, mit vierzehn Jahren, gleich nach der Schule, war sie weg. Zuerst arbeitete sie als Kuchelmensch, später dann als Magd und Bedienung. Drei-, vielleicht viermal kam sie in all den Jahren nach Hause, nur um möglichst schnell wieder zu gehen. Heimweh hatte sie keines, nicht einmal in der ersten Zeit, und zurückkommen wollte sie auch nie. Doch dann kam der Tag, an dem sie Hals über Kopf aus ihrer Stellung weggehen musste. Ihr Dienstherr hatte sie hinausgeworfen, mit Schimpf und Schande fortgejagt, und sie ging wie ein geprügelter Hund.
»Kannst froh sein, dass du so billig davonkommst«, hatte er ihr beim Abschied noch hinterhergerufen. »Eine Franzosenschickse, die sich mit Fremdarbeitern einlässt! Eine dreckige Hure, eine Schlampe bist, so ein Mensch kann ich hier nicht gutheißen.«
Sogar um einen Großteil des ausstehenden Lohns hatte man sie geprellt.
Es war derselbe Abend, an dem sie den Brief gefunden hatte, wobei »finden« nicht das richtige Wort war, sie hatte ihn gar nicht übersehen können, an die Innenseite ihrer Kammertür hatten sie ihn genagelt, die anständigen und ehrbaren Leute aus dem Dorf. Und als sie die Tür schloss und ihren Kittel wie jeden Abend vor dem Zubettgehen an den Nagel an der Tür hängen wollte, sprang ihr der Hassbrief direkt in die Augen. Mit einem Strick an den nächsten Baum würden sie sie hängen, stand da, schleichen sollte sie sich, am besten auf der Stelle. Sie sei eine Schande für alle ehrbaren deutschen Frauen, deren Männer im Krieg seien. Eine dreckige Hure sei sie, und aufpassen solle sie, denn sie würden schon auf sie warten, und dann gnade ihr Gott.
Afra riss den Fetzen von der Tür und rannte hinunter in die Schankstube. Am ganzen Leib zitternd vor Wut warf sie den Zettel auf den Schanktisch, streifte ihn mit beiden Händen glatt und hielt ihn fest, als könnte ein Windstoß ihn fortwehen. Sie wollte den Tafernwirt fragen, ob sie denn nicht immer anständig und gewissenhaft ihre Arbeit erledigt habe.
»Habe ich hier nicht gerackert wie ein Viech? Was soll das?«
Doch er schnitt ihr das Wort ab, raunzte sie nur an: »Werden schon recht haben, die Leute. So eine Schnalle wie du sollte sich wirklich schleichen. Lieber heut als morgen. Verstehst? Ist besser so für uns alle, ich kann kein solches Mensch in meinem Haus brauchen. Am Ende bleibt die Schande an mir hängen, oder sie sperren mich ein, weil ich nichts angezeigt habe. Brauchst gar nicht so wild schauen. Eines sag ich dir, wegen so was setz ich doch nicht mein Sach aufs Spiel und geh am End gar ins KZ. Die Hose ist einem immer näher als das Hemd, das merkst dir. Auf den Franzosen kann ich nicht
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