Finsterau
Eingeständnis einer Tat durch den Beschuldigten ist ein seelischer Reinigungsakt, vergleichbar mit der Beichte. Der Täter bekennt sich wie der Sünder zu seiner Schuld und verschafft sich so Erleichterung und Seelenfrieden. So zumindest wurde es uns damals während meines Studiums noch vermittelt.
Wie gesagt, ich war noch am Beginn meiner Laufbahn, in der Zwischenzeit sind viele Jahre vergangen, und ich habe gelernt, manche Dinge zu hinterfragen. Ich habe gelernt, dass es sehr verschiedene Gründe gibt, eine Tat einzugestehen, selbst Taten, die nie von der betreffenden Person begangen wurden, werden manchmal sehr überzeugend und voller Inbrunst gestanden. Es ist mitunter schwierig, die Wahrheit zu erkennen, und manchmal hören auch gewissenhafte Polizeibeamte nur das, was sie gern hören möchten, da unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Menschen. Was am Ende des Tages übrig bleibt, ist die Tatsache, dass Johann Zauner gestanden hat. Und so wurde er angeklagt.
Gegen Ende der Hauptverhandlung, als schon alle Zeugen vernommen und alle Gutachter gehört waren, dann die Wandlung. Plötzlich sprang Zauner hoch und widerrief sein Geständnis. Er war mit einem Malwie ausgewechselt. Er zeigte sich störrisch, bockig. Leugnete und hatte nicht die geringste Einsicht. Es kam zu tumultartigen Szenen im Saal, als er »Gott zum Zeugen« anrief. Der Vorsitzende drohte an, den Saal räumen zu lassen, wenn sich die Menge nicht beruhigen würde. Keiner der Anwesenden glaubte dem Angeklagten auch nur ein Wort. Johann Zauner schrie, dass er nicht der Täter sei. Immer wieder versuchte der Richter ihn zu bewegen, doch sein Gewissen zu erleichtern und sein Geständnis zu wiederholen. Zauner jedoch blieb hartnäckig und bot sogar an, seine Unschuld an Eides statt zu erklären, nicht wissend, dass er den Eid nicht verlangen konnte. Selbst sein Verteidiger war außerstande, ihn zu beruhigen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich damals von seiner Schuld nicht restlos überzeugt war. Johann Zauner wurde aufgrund der erdrückenden Beweislast und zahlreicher Zeugenaussagen überführt. Aber wie bei allen Indizienprozessen bleibt immer ein Rest Unsicherheit.
Ich weiß nicht, ob ich heute noch wie vor achtzehn Jahren den Antrag, Zauner wegen zweier Verbrechen des Mordes zu einer Zuchthausstrafe von je acht Jahren und unter Billigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren Zuchthaus zu verurteilen, stellen würde.
Das Gericht erließ schließlich ein Urteil von einer Gesamtstrafe von zehn Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung. Es wurde angeordnet, ihn nach Strafverbüßung wegen seiner geistigen Defizite und der sich daraus ergebenden Wiederholungsgefahr ineine Heil- und Pflegeanstalt einzuweisen. Der Sachverständige hatte Zauner wegen seiner Demenz als vermindert zurechnungsfähig eingestuft.
Ich war mit dieser Entscheidung des Gerichts zufrieden. Nach den Ergebnissen der Ermittlungen blieb uns keine andere Wahl, und das Urteil war richtig; ob es gerecht war, ist eine andere Frage.
Kein Gericht der Welt kann Gerechtigkeit schaffen, unsere Entscheidungen können wir nur nach den im Augenblick der Verhandlung vorhandenen Beweisen treffen, und natürlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Wir liegen leider mit unserer Auslegung der Wahrheit zu häufig falsch oder sehen von unserem Standpunkt aus nur einen kleinen Teil. Die Wahrheit ist ein scheues Kind, und ihre Mutter, die Gerechtigkeit, ist meist blind.
Matthias Karrer
I rgendwann in der Nacht wachte er auf. Es war dunkel, er war allein in der Gaststube. Selbst der Wirt war nicht mehr da. Er musste eingeschlafen sein, das Bierfilz und die Rechnung lagen noch auf dem Tisch. Der Arm tat ihm weh, weil er ihn so verrenkt auf dem Tisch hatte liegen lassen. Er hatte Schmerzen bis hinauf in die Schulter, alles war verspannt. Die Hand war ganz taub, und er musste sie erst mit der anderen ein wenig massieren, bis sie wieder zu gebrauchen war. Als er aufwachte, wusste er anfangs gar nicht, wo er war und was er hier machte. Doch dann fiel es ihm wieder ein. Er war gestern Abend hier in der Baitz hängengeblieben. Zuerst war er nur eingekehrt, um sich eine Brotzeit zu kaufen. Den ganzen Tag unterwegs von einem Haus zum anderen. Klingelputzen. Gegen sieben hatte er genug, er fand, er hatte sich sein Abendessen hart verdient.
Scherenschleifen war kein einträgliches Geschäft mehr. Die Leute legten keinen Wert auf sein Handwerk. Noch vor zehn Jahren
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