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Finsterau

Finsterau

Titel: Finsterau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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Gefängnis, sondern in der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses untergebracht war, für sie möglich wäre, ihn häufiger zu besuchen, wenn sie es denn wünschte. Gleich in der nächsten Woche war sie zu ihm gefahren und blieb, solange es die Ärzte ihr erlaubten, bei ihm.

Johann
    I m Unterschied zu der Gefängniszelle lagen sie in der Klinik zu viert oder zu sechst in einem Zimmer. Auch wurde in der Nacht das Licht nicht ganz gelöscht, eine kleine Funzel brannte die ganze Zeit. Sobald es draußen vor den vergitterten Fenstern finster wurde, wurde er unruhig. Er hielt es in seinem Bett nicht aus, lief umher oder setzte sich ganz nah zu seinen Mitpatienten und starrte diese an. Wurde er von den Schwestern und Pflegern wieder in das eigene Bett zurückgebracht und dort, um zu verhindern, dass er wieder aufstehen und seine Wanderung fortsetzen würde, mit Armen und Beinen am Rahmen fixiert, fing er an zu schreien. Meistens beruhigte er sich nach einer Weile, manchmal, wenn gar keine Ruhe einkehrte, wurde er aus dem Zimmer gefahren, kam dann am nächsten Morgen wieder zurück, noch ganz aufgewühlt und erschöpft von der letzten Nacht.
    Seine Tage verbrachte er damit, im Zimmer auf seinem Bett zu sitzen oder den langen Flur auf und ab zu laufen. Stunde um Stunde. Anfangs zählte er die Schritte, zählte, wie oft er den Flur entlanglief, dochnach und nach vergaß er es. In den weißgetünchten Fluren saßen elende Gestalten, wie er eine war. Und wie er waren sie den ganzen Tag in Gespräche mit sich selbst vertieft. Manchmal brabbelte er vor sich hin, schrie oder weinte. Jede Stimmung konnte von einer Sekunde zur nächsten ins Gegenteil umschlagen. Er lebte in seiner eigenen kleinen Welt, abgeschieden von allen, nicht fähig, mit den anderen zu sprechen, Anteil zu nehmen. Wie die zahnlose Alte, die immer darauf wartete, dass er an ihrem Zimmer vorbeikam. Sie stürmte dann auf ihn zu, fasste ihm ins Gesicht, versuchte, mit den Fingern in seinen Mund, seine Nase zu gelangen. Ließ sich nicht abschütteln, stupste ihm mit ihren dürren Zeigefingern in die Augäpfel. Er wehrte sich, so gut er konnte, schrie um Hilfe, bis die Pfleger kamen und die Alte fortführten.
    An manchen Tagen ertrug er das Hemd nicht mehr an seinem Leib. Sooft die Pfleger auch versuchten, es ihm anzuziehen, riss er es sich herunter. Banden sie ihm die Hände auf den Rücken, wälzte er sich auf dem Boden, versuchte, ein Stück Stoff mit den Zähnen zu erwischen, nur um es sich so vom Körper zu ziehen, sich seiner zu entledigen wie eine Eidechse, die sich ihre trockene und alte Haut vom Körper schabt.
    In den Räumen, deren Türen auf der anderen Seite des Flurs lagen, saßen Patienten zusammen, entwirrten stundenlang Wollfäden. Hatten sie einen längeren Faden aus dem Bündel befreit, knoteten sie ihn mit den anderen Fäden zusammen und wickelten diese zu bunten Knäueln auf.
    Der Arzt forderte ihn auf, im Zimmer mitzuarbeiten, und er, der es nicht gewohnt war, den ganzen Tag im Haus zu sein, fügte sich, saß mit den anderen am Tisch und entwirrte die Fäden.
    Mit der Zeit nahm er alles um sich herum nur noch bruchstückhaft wahr. Die Tage glichen sich, unterbrochen nur durch die Visiten der Ärzte. Das Einzige, was er merkte, war, dass er sich immer mehr verlor und dass ihm auch sein Glaube keinen Trost spendete. Er versuchte, dagegen anzukämpfen, er wollte sich seine quälenden Gedanken von der Seele schreiben, doch seine Hände gehorchten ihm nicht mehr, so begann er, seine Erinnerungen in leere Flaschen abzufüllen, indem er sie bis zum Rand mit Worten füllte und dann sorgfältig verschloss. Hielt er sich die Flaschen ans Ohr, glaubte er, seine eigene Stimme darin hören zu können. Öffnete er den Verschluss, schlüpften die Worte wieder heraus. Doch die Pfleger und Ärzte verstanden nicht, was er da tat, hielten ihn nun für vollkommen verrückt. Aber wie hätte er seine Erinnerungen anders schützen können? Er musste die Worte wegschließen, ehe sie für immer verloren waren, denn mit jedem gesprochenen Satz schien er mehr zu vergessen. Und sie hörten nicht auf, ihn zu quälen und immer und immer dasselbe zu fragen, bis von ihm schließlich nur noch eine leere Hülle übrig geblieben war.

Afra
    A fra schließt das Fenster und drückt den Riegel fest nach unten. Sie rüttelt noch einmal daran, dann nimmt sie die in der Speis hängende Hartwurst ab, schneidet mit dem bereitliegenden Messer noch ein Stück von dem

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