Finsterau
die Küche hinübernehmen. Dann ordnete er, so gut er konnte, die Briefe und legte sie wieder in die Schachtel zurück. Er bückte sich, um nach den Knöpfen zu suchen, unter dem Nachtkästchen versteckt fand er einen Geldschein und mehrere Münzen. Er sammelte sie vom Boden auf, richtete sich, noch immer kniend, auf und zog seine Geldbörse aus der Gesäßtasche heraus, sie würden jeden Pfennig für die Beerdigung brauchen können.
»Was machst du hier! Schau bloß, dass du dich wieder auf deinen Platz zurückschleichst!«
Johann Zauner drehte sich erschrocken Richtung Tür. Im Rahmen stand der junge Polizist mit hochrotem Kopf und brüllte ihn an. Johann stand schwerfällig auf, stützte sich dabei mit dem Ellbogen am Bett ab. Verwirrt streckte er die Hand, in der er immer noch das aufgesammelte Geld hielt, dem Polizisten entgegen. Der war mit zwei Schritten bei ihm und riss Johann den Schein aus der Hand und ließ sich die Münzen geben.
»Das bleibt schön bei mir. Beweismittel verschwinden lassen, so geht das nicht. Das ist gegen das Gesetz. Warum hast du das gemacht, Zauner? Wolltest wohl einen Raub vortäuschen, aber da kommst mir gerade recht. Schau bloß, dass du wieder hinüberkommst auf deinen Platz und dass du mir hier nichtsmehr anlangst. Und den Geldbeutel, den gibst mir auch.«
Johann Zauner entschuldigte sich untertänig und tat, was von ihm verlangt wurde. Das Gottesdienst und den Rosenkranz ließ er auf dem Nachttisch liegen.
Aus der Aussage des Staatsanwalts Dr. Augustin, 18 Jahre nach den Ereignissen
I ch war damals ein ganz junger Staatsanwalt, Feuer und Flamme für meinen Beruf und überzeugt davon, einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines unbelasteten und gerechten Rechtssystems leisten zu können. Idealistisch und auch ein wenig naiv, wie man es nur in jungen Jahren sein kann.
Auch nach so langer Zeit ist mir der Fall Zauner deshalb immer noch im Gedächtnis. Trotzdem habe ich mir aber zur Sicherheit die alten Akten kommen lassen und darin nachgelesen. Ich möchte hier auch das Bild wiedergeben, das wir damals zum Zeitpunkt der Untersuchung hatten.
Johann Zauner machte demnach bei der ersten Tatbestandsaufnahme einen völlig gleichgültigen und apathischen Eindruck. Er schien zumindest äußerlich von der Tragödie nicht im Geringsten berührt. Laut einer sich in den Akten befindenden Zeugenaussage hatte er es sogar fertiggebracht, kurz nach der Bluttat Brotzeit zu machen. Auch unternahm er Versuche, in primitiver, dümmlicher Art und Weise einen Raubmord vorzutäuschen, indem er Geld und andere Kleinigkeiten der Getöteten in deren Zimmer verstreute. Als er auf das absurde Tun, das in Anwesenheit eines Polizeibeamten und nach der ersten polizeilichen Untersuchung stattfand, aufmerksam gemacht wurde, entschuldigte er sich zunächst umständlich und wollte alles wieder aufräumen.
Herr Zauner wurde im Verlauf des Ermittlungsverfahrens verschiedentlich vernommen. Seine spärlichen Erklärungen zur Tat befanden sich im Einklang mit den gefundenen Spuren. Für uns ergab sich zum Zeitpunkt der Untersuchung nie der geringste Zweifel an seiner Schuld. Zudem legte er vor einem Beamten ein Bekenntnis der Tat ab. Ein Geständnis wiegt schwer, es ist die Krone der Beweisführung, das eindeutigste und wichtigste Beweismittel. Er widerrief oder relativierte seine Aussage während der laufenden Untersuchung nie, und er wurde nicht nur einmal befragt, sondern hatte mehrfach die Möglichkeit, sich zu distanzieren. Dass er sich nicht klar über das Motiv äußerte, ist zwar ein Wermutstropfen, war aber bei seiner doch sehr einfach strukturierten Persönlichkeit nicht unbedingt verwunderlich. Er brachte zum Ausdruck, dass er wütend gewesen sei, er habe, wörtlich, »einen Mordsgrant gehabt«, und wiederholte mehrfach, in diesem Zustand nicht gewusst zu haben, was er tat. Auf die Fragen, warum er das Kind auch noch umbrachte, kam immer wieder die gleiche Antwort, es sei, wie er sagte, »immer zwischen den Beinen herumgelaufen« und alles wäre so »in einem Aufwasch« gewesen.
Schon mit der ersten Befragung fiel diese Schwerfälligkeit und geistige Trägheit auf. Zauner wurde darumzur Untersuchung in eine psychiatrische Anstalt gebracht. Die Ergebnisse lagen dem Gericht seinerzeit vor.
Alles schien sehr klar, und, was am wichtigsten ist, der Angeklagte war geständig. Um ein Geständnis kommt man nicht herum. Mag sein, dass es eine sehr vereinfachte Anschauung der Dinge ist, aber das
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