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Finsterau

Finsterau

Titel: Finsterau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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die Scherben der kleinen Vase zusammenkehren, die liegen noch immer in der Kammer auf dem Boden. Bleib schön hier, die Mama ist gleich wieder da, hörst. Ich nehme bloß schnell das Beserl und Schauferl und geh hinüber. Es dauert nicht lang, und bleib vom Ofen weg, Kind, sonst verbrennst dir die Finger.«
    Doch Albert hört ihr gar nicht zu, er sitzt auf dem Boden und spielt mit dem Brotscherzerl, dreht kleine Kugelchen aus dem mit Speichel vermischten Teig und rollt diese vor sich hin und her.

Aus der Aussage Matthias Karrers, Hausierer und Scherenschleifer, 18 Jahre nach den Ereignissen
    G leich nach dem Krieg bin ich von Unterlichtenwald weg. Unter den Nazis, da war es dem Vater nicht erlaubt, mit seinem Wandergewerbeschein herumzureisen. Immer hat er mir davon erzählt, wie es war, das freie Leben. Meine Leute sind schon immer auf der Reise gewesen, das gehört zu uns wie die Luft zum Atmen, es liegt uns im Blut. Mein Vater ist neben dem Wagen auf die Welt gekommen, unterwegs, einfach so. Wie zuvor sein Vater und all die Ahnen davor. Unsere Leute waren mit den Pferdewagen unterwegs, mit Kind und Kegel, Enten, Gänse, Schweine, alles war dabei, der ganze Hausstand. Wir haben unsere festen Plätze gehabt, und die sind wir angefahren. Ein jeder hat gewusst, wenn wir kommen. Wir waren ehrbare Leute, keine Zigeuner. Jenische eben.
    Es muss im Frühjahr ’47 gewesen sein, wie ich los bin. Ich habe meinen Rucksack zusammengepackt und bin fort. Der erste Karrer, der alleine losgezogen ist, nicht mit der ganzen Sippe, aber ich habe gewusst, unterwegs, da treffe ich immer welche von uns. Und so war es dann auch. Die Unsrigen erkenntman an der Sprache, es ist eine Mischung aus Rotwelsch, Bairisch und Jiddisch, halt aus allem, wie wir selber auch.
    Im Herbst desselben Jahres hab ich dann zwei Burschen getroffen, den Otto und den Wackes. Den richtigen Namen von dem weiß ich nicht. Er hieß halt so, weil Wackes, das ist das Wort für Franzose bei uns. Er hat immer gesagt, er will sich durchschlagen zum Franzosen und dort in die Legion. So war er, der Wackes.
    Ich hab mich von den beiden zu einigem Blödsinn überreden lassen, da einmal was klauen, dort was mitgehen lassen. Aber in dem Alter siehst manches halt anders, und den neuen Freunden, den willst halt auch imponieren. Wenn man jung ist, ist man auch dumm. So was kann nicht lang gutgehen.
    Und in Alling sind der Otto und ich erwischt worden, wie wir beim Bäcker eingestiegen sind. Den Tag davor hatten wir nichts Gescheites zum Beißen gehabt, nur ein paar fast noch grüne Äpfel und einen Kanten altes Brot. Die ganze Zeit über war mir richtig dasig vom Hunger und weil mir die Luft im Bauch schon zu Kopf gestiegen war.
    Es war gerade finster geworden, wie wir ins Dorf gekommen sind. Schon den ganzen Tag hat uns der Wackes keine Ruhe gelassen. Er hat gesagt, wie einfach es ist, beim Bäcker einzusteigen, und dass er sich dort auskennt »wie in seiner eigenen Westentasche«. Er wäre im Krieg zum Arbeiten dort gewesen, und von der Zeit, da hätte er noch eine Rechnung offen. Geschunden hätte ihn der Kerl, und da würde es nichtsschaden, wenn er jetzt bluten müsst’. Auch würde er es selber machen, wenn wir uns nicht trauten, aber die Hand, die täte ihm weh, die wollte nicht heilen. Damit ich ihm auch glaubte, streckte er sie mir hin, so konnte ich sehen, dass er eine tiefe Schnittwunde am Handballen hatte, sodass die Haut auseinanderklaffte und das wilde Fleisch herausschaute.
    »Außerdem«, hat er zu mir gesagt, »kannst du dann zeigen, ob du wirklich was draufhast oder nur ein Dampfplauderer bist, mit viel Schiss in der Hosen. So einen können wir nicht brauchen, was, Otto?«
    Der nickte, als stimmte er ihm zu. Als junger Busch lässt du dir das nicht zweimal sagen, so war es ausgemacht. Geld und Brot sollten wir mitnehmen oder was wir sonst noch finden.
    Der Franzos’, der sollte vorne spannen und der Otto und ich hinten durch das Fenster in die Backstube einsteigen.
    Der Bäcker hatte sein Schlafzimmer gleich über der Stube. Was uns der Wackes aber nicht gesagt hatte. Vielleicht hat er es auch nicht gewusst. Und wie ich das Fenster neben der Tür eingeschlagen habe, müssen die oben wach geworden sein. Laut genug hat es ja gescheppert, das war ein Schlag, der hätte selbst Tote aufgeweckt. Das Fenster war heraußen, und wir sind rein in die Backstube. Und dann ging alles ganz schnell. Wir hatten nicht einmal mehr Zeit, nach Geld oder nach was anderem zu

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