Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finsterau

Finsterau

Titel: Finsterau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
Vom Netzwerk:
Glasscherben. Er war in die Scherben getreten, noch lange danach war ihm das Geräusch gegenwärtig, das entstand, als er auf das Glas trat. Das Knirschen, wenn die Scherben unter den Schuhsohlen zermahlen werden. Er stand da und verstand nicht, was geschehen war. Er sah ihr Haar vom Blut rötlich gefärbt und wie das Blut langsam auf das Kanapee sickerte. Mit zitternder Hand berührte er ihre Stirn, fuhr zärtlich über ihre Lider und schloss ihre Augen.
    Erst dann hörte er das Wimmern, ihm war, als risse es ihn jäh aus einem Traum. Er blickte sich suchend um, und schließlich fand er das Kind am Boden liegend, halb verdeckt durch den umgefallenen Stuhl. Er schob ihn beiseite, hob das Kind unbeholfen auf und presste es an sich. Hielt es fest gedrückt, nicht wie man ein Kind hält, eher wie einen Packen Lumpen, darauf bedacht, keinen der Fetzen fallen zu lassen.
    »Hab keine Angst, es wird alles gut, es wird alles gut«, sagte er immer wieder.
    Er sprach nur, um eine Stimme zu hören, die ihn beruhigte, um sich nicht allein zu fühlen.
    Mit dem wimmernden Kind an der Brust ging er hinaus in den Hof. Das Bündel mit beiden Armen fest umschlossen, machte er sich auf den Weg hinüber zum Nachbarn. Er war die Hälfe der Strecke gelaufen, da erst merkte er, wie etwas warm und feucht zwischen seinen Fingern hindurch an den Armen entlanglief. Und als er stehen blieb und an sich hinabblickte, sah er das Blut. Er wusste nicht, was er tun sollte, wartete einen Moment. Er lief ein paar Schritte vorwärts, dann wieder in die entgegengesetzte Richtung, schließlich machte er kehrt und ging nun langsam zurück zum Haus.
    In der Küche schob er mit dem Fuß die Scherben und die auf dem Boden liegende Hacke zur Seite und legte das Kind vorsichtig auf den Dielenbrettern neben dem Kanapee ab. Er wollte es nicht neben die tote Mutter legen, da war nicht genügend Platz, und er hatte Angst, es könnte durch eine unachtsame Bewegung herunterfallen, sich wehtun. Ebenso graute er sich davor, Afra noch einmal zu berühren. Er holte das alte Wolltuch aus dem Schlafzimmer und deckte das Kind damit zu. Er hatte Angst, es würde sich den Tod holen, wenn er es so auf dem kalten Boden liegen ließe.
    Irgendwann musste er dann hinübergelaufen sein zum Nachbarn. Über den Zaun sollte er ihm zugerufen haben, dass dieser die Gendarmen verständigen solle. So hatten es ihm die Polizisten später zumindest erzählt. Er selbst wusste nichts mehr darüber. Wenn das Gedächtnis ein Gefäß war, bis zum Rand gefüllt mit Erlebtem, dann war seines zerbrochen wie die Glasflasche in der Küche, auf deren Scherben er getreten war. Seine Erinnerungen waren Bruchstücke, dazwischen Lücken, die nicht zu füllen waren, an manchen Tagen konnte er nicht mehr unterscheiden zwischen dem, was war, und dem, was er nur geträumt hatte. In letzter Zeit kam es darum immer häufiger zum Streit. Es machte ihn wütend, er fühlte sich zu Unrecht beschuldigt, Dinge getan oder unterlassen zu haben, an die er sich nicht mehr erinnerte. Schließlich war er sich fast sicher, die Frau und die Tochter steckten unter einer Decke, versteckten absichtlich Gegenstände und behaupteten, er hätte dieses oder jenes getan, nur um ihn als Lügner dastehen zu lassen und ihn so in Rage zu bringen.

Aus der Aussage des mittlerweile pensionierten Polizisten Hermann Irgang, 18 Jahre nach den Ereignissen
    W ie schon gesagt, habe ich den Zauner aufgefordert, sich zu setzen. Er hockte schweigend da und hielt das Hemd fest mit seinen Händen umklammert. Die Nässe lief heraus, tropfte zu Boden und bildete dort eine Lache. Die halbe Küche schwamm schon. Ich bin dann hin und habe ihm das Knäuel aus der Hand genommen und es neben die Waschschüssel gelegt. Der alte Zauner saß die ganze Zeit nur reglos da.
    Wir sind dann hinüber zum Sofa. Die Afra lag dort, die Augen geschlossen, aber oben am Haaransatz, da klaffte eine Wunde. Ihre Haare schimmerten ganz rötlich vom Blut, und die Hände waren zerschnitten, zerkratzt, ganz so, als hätte sie mit aller Kraft versucht, sich zur Wehr zu setzen. Es muss ein fürchterlicher Kampf zwischen den beiden gewesen sein, ehe er sie überwältigte und auf das Kanapee warf. Aber trotzdem sah sie ganz friedlich aus, wie sie so dalag. Das vergesse ich nie. Es hat ausgesehen, als sei mit dem Tod die Erlösung eingekehrt, dabei muss das Sterben für sie doch so grausam gewesen sein.
    Der Weinzierl und ich, wir sind beide wortlos vor dem Leichnam gestanden. Hier

Weitere Kostenlose Bücher