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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Nachlassen der Liebe und der Achtung, die sie einst für ihren Ehemann empfand. Während er in den Kindergarten ging, in die Grundschule, und sogar noch während der ersten Oberschuljahre, sicherlich bis er etwa zwölf war, hatte Philip sich immer an sie gewendet, seine Mutter, hatte sich ihr anvertraut, hatte sie (kostbare Augenblicke!) umarmt, wenn er dankbar oder glücklich war. Sie war sehr stolz gewesen, daß sie der geliebte und bevorzugte Elternteil war.
    Ob es absichtlich, aus Rachsucht, geschah oder nicht, konnte sie wirklich nicht sagen, aber bald nachdem Philip mit der Oberschule angefangen hatte, begann George, seinen Einfluß auf den Jungen geltend zu machen und ihr auf mancherlei Art Philips Zuneigung zu stehlen, und dies mit der einfachen Methode, in dem Jungen die Vorstellung des Erwachsenwerdens, zu werden und Männersachen zu tun, zu ermutigen. An Wochenenden nahm er Philip zum Angeln mit; oft kam er am Abend mit ein paar Dosen leichten Biers vom Royal Sun nach Hause und bot seinem jungen Sohn immer eine an. Und dann das Luftgewehr! Zu Philips 13. Geburtstag hatte George ihm ein Luftgewehr gekauft, und kurz danach knallte Philip am Ende des Gartens einen Spatz ab, der an von ihr selbst gestreutem Vogelfutter pickte. Was für ein schrecklicher Abend war das gewesen, zwischen Ehemann und Ehefrau, als sie ihn beschuldigt hatte, aus ihrem Sohn einen Spießbürger zu machen! Auch Philips Sprache war fortschreitend derber geworden, und sein Verhalten; das schrille Lachen zwischen Vater und Sohn über Witze, in die sie nie eingeweiht wurde. Schulzeugnisse, die immer schlechter wurden, und die Freundschaft mit einigen der abscheulichsten Mitschüler, die er gelegentlich mit nach Hause brachte, um mit ihnen hinter verschlossener Tür Popmusik zu hören.
    Dann, vor über einem Jahr, der schreckliche Streit zwischen Vater und Sohn wegen des Rucksacks, ein Streit, der zu einer Atmosphäre verzerrter Verbitterung geführt hatte. Was genau damals mit dem Rucksack geschehen war, wußte sie noch immer nicht, aber sie wußte, daß George über Zeitpunkt und Fundort gelogen hatte. Woher? Weil weder George noch Philip an jenem Morgen den Hund zu seinem Spaziergang entlang der Schnellstraße geführt hatte; sie hatte es getan. Philip war sehr früh am Morgen nach Oxford gefahren, um an einem von der Schule organisierten Busausflug teilzunehmen, und ihr Ehemann hatte beim Aufwachen einen so schlimmen Hexenschuß gehabt, daß er es nicht einmal bis zum Klo schaffte, ganz zu schweigen von irgendeinem Parkplatz an der Schnellstraße. Aber sie wußte, daß George den Rucksack gefunden hatte, irgendwo, oder daß jemand ihm den Rucksack gegeben hatte, an genau dem Sonntag, an dem das Schwedenmädchen verschwunden war, dem Sonntag, an dem George den ganzen Nachmittag fort gewesen war, und dann noch einmal später am Abend, und den ganzen Tag viel getrunken hatte, wie sie sich erinnerte. Es mußte auch an diesem Sonntagabend gewesen sein, als Philip den Rucksack gefunden hatte, wahrscheinlich hinten in der Garage, wo er, wie sie wußte, nach seinen Wanderstiefeln gesucht hatte, für den Schulausflug zum Peak District — und wo er, vermutete sie, den Fotoapparat und das Fernglas fand. O ja! Sie war sich ganz sicher — denn sie hatte sie auch gefunden , in Philips Zimmer. Erst später erfuhr sie, daß Philip die Filmspule aus dem Fotoapparat genommen und den Film höchstwahrscheinlich selbst in der Schule entwickelt hatte, wo es eine florierende Arbeitsgemeinschaft von Amateurfotografen gab (zu der auch Philip gehörte), die über eine gutausgerüstete Dunkelkammer verfügte.
    Ein beträchtlicher Teil dieser Informationen war Morse bereits bekannt, das spürte sie. Aber allem Anschein nach hörte er ihr aufmerksam zu, als sie stoßweise und unter Tränen fast alles noch einmal durchging. Er fragte sie nicht, wie sie von den Fotos wissen konnte, aber sicherlich ahnte er es. Aber er würde nie von den anderen Fotos erfahren, den pornografischen, die von dem Schwedenmädchen, das sie nach dem Paßfoto erkannt hatte, das, wenn auch sehr schlecht, in The Oxford Times abgedruckt worden war. Nein! Darüber würde sie Morse nichts sagen. Und auch nichts über die Fahrten in den geklauten Autos — ihren inneren Aufruhr, als sie auf die Sätze in Philips Taschenkalender gestoßen war, Wörter, die in ihr verworrene Bilder von quietschenden Reifen und den qualvollen Schreien eines kleines Mädchens in einer Lache seines

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