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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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eigenen Bluts heraufbeschworen... Nein, es würde ihren Sohn noch weiter herabsetzen, wenn sie von diesen Dingen sprach, und sie würde es niemals tun. Wo ihr Sohn auch sein mochte und was er getan haben mochte, Philip würde immer ihr Sohn sein.

    Als der Wagen im Stadtzentrum nach links abbog, in Richtung der Polizeiwache St. Aldate’s, sah sie ein Dutzend oder mehr Tauben, die mit ruckenden Köpfen auf dem Straßenpflaster herumpickten und dann plötzlich mit lautem Flügelschlagen zu dem Turm über ihnen hinaufflatterten. Sie ergriffen die Flucht. Frei! Und Margaret Daley fragte sich, ob sie sich jemals wieder frei fühlen würde...

    «Milch und Zucker?»
    Margaret Daley war meilenweit fort gewesen, aber sie hatte seine Worte gehört und blickte jetzt auf in das Gesicht des Chief Inspector mit den durchdringenden blauen Augen, die aber gütig waren, und, dachte sie, auch verletzbar.
    «Keinen Zucker. Nur Milch, bitte.»
    Morse legte die Hand leicht auf ihre Schulter. «Sie sind eine tapfere Frau», sagte er leise.
    Plötzlich waren die Schleusentore geöffnet, und Margaret wandte sich ab von ihm und begann, zügellos zu weinen.
    «Sie haben gehört, was die Dame sagte», knurrte Morse den Constable an, der die beiden von der Tür aus unsicher beobachtete. «Keinen verdammten Zucker!»

Kapitel sechzig

    Musik und Frauen muß ich einfach nachgeben, was sonst meine Tätigkeit auch sein mag

    (Samuel Pepys,
    Das geheime Tagebuch)

    Direkt nach dem Lunch war Morse wieder in seinem Büro im Präsidium und hörte sich das Band von dem Gespräch mit Michaels an.
    «Was halten Sie davon, Sir?»
    «Vermutlich ist einiges wahr», gab Morse zu.
    «Daß er Daley nicht umgebracht hat, meinen Sie?»
    «Ich weiß nicht, wie er es getan haben könnte — nicht genug Zeit, oder?»
    «Wer hat ihn umgebracht, denken Sie?»
    «Nun, drei Sachen fehlen in Daleys Haus, nicht wahr? Daley selbst, das Gewehr und — der Junge.»
    «Der Sohn? Philip? Sie denken, er hat ihn umgebracht? Seinen eigenen Vater umgebracht? Wie Ödipus?»
    «Was ich Ihnen alles beigebracht habe, Lewis, seit Sie mein Sergeant sind!»
    «Hat er seine Mum auch geliebt?»
    «Ja, sehr, glaube ich. Jedenfalls werden Sie sicher interessant finden, was sie zu sagen hat.»
    «Aber... aber man kann nicht einfach mit geschultertem Gewehr in den Blenheim Park marschieren...»
    «Seine Mum sagt, er sei dort immer angeln gegangen, sie sagt, sein Dad habe ihm die ganze Ausrüstung gekauft.»
    «Oh, ich verstehe, was Sie meinen. Diese langen Dinger aus Segeltuch — für die Angelruten und all das Zeug.»
    «Ja, so etwas. Zehn Minuten mit dem Fahrrad...?»
    « Hat er ein Fahrrad?»
    «Keine Ahnung.»
    «Aber warum ? Was sollte er...?»
    «Muß der Brief gewesen sein — vom Crown Court...»
    «Und sein Dad weigerte sich, ihm zu helfen?»
    «Vermutlich. Sagte seinem Sohn, er solle Leine ziehen, höchstwahrscheinlich; sagte ihm, er solle abhauen und seine Eltern da rauslassen. Aber ich habe das Gefühl, der Junge wird es in der großen Stadt nicht lange aushalten. Die Londoner Polizei wird sich ihn bald schnappen, Sie werden sehen.»
    «Sie sagten aber, es sei Michaels gewesen. Sie sagten, Sie seien ziemlich sicher, daß es Michaels war.»
    «Habe ich das?»
    «Ja, haben Sie! Aber Sie schienen nicht übermäßig erstaunt, als Sie eben das Band hörten?»
    «War ich das nicht?»
    Lewis ließ es dabei bewenden. «Wie geht es jetzt also weiter?»
    «Überhaupt nicht, vorläufig. Zuerst habe ich eine Besprechung mit Strange. Um drei.»
    «Was machen wir mit Michaels? Lassen wir ihn gehen?»
    «Warum sollten wir?»
    «Na ja, wie Sie eben sagten — in der Zeit konnte er es einfach nicht geschafft haben. Unmöglich! Selbst mit einem Hubschrauber.»
    «Und?»
    Lewis wurde plötzlich sehr ärgerlich. «Und was sage ich ihm?»
    «Sie sagen ihm», erklärte Morse langsam, «daß wir ihn über Nacht hierbehalten — für weitere Fragen.»
    «Wessen beschuldigen wir ihn? Wir können nicht einfach...»
    «Ich glaube nicht, daß er große Einwände erheben wird», sagte Morse.

    Kurz bevor Morse an jenem Nachmittag an Chief Superintendent Stranges Tür klopfte, waren zwei Männer im Begriff, das Trout Inn in Wolvercote zu verlassen. Die meisten der Gäste, die ihren Lunch draußen auf der mit Fliesen belegten Terrasse über dem Fluß zu sich genommen hatten, waren inzwischen gegangen; das Inn würde bald schließen.
    «Sie versprechen, daß Sie es aufschreiben werden?»
    «Ich verspreche

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