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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zwölf, oder Viertel nach? — und tranken ein paar Halbe. Uns war bei der Arbeit warm geworden! Und es war ein heißer Tag!»
    «Sie haben die Adressen dieser Leute?»
    «Nicht bei mir, nein. Ich kann sie Ihnen leicht besorgen.»
    «Und der Mann an der Bar im Pub? Kennt er Sie?»
    «Nur zu gut, Sergeant.»
    Lewis warf einen Blick auf seine Armbanduhr, leicht verwirrt, und ja, ein wenig verloren.
    «Kann ich jetzt gehen?» fragte Michaels.
    «Noch nicht, Sir, nein. Wie ich schon sagte, wir brauchen eine Aussage von Ihnen über die Vorgänge im Juli letzten Jahres... dann müssen wir unser kleines Gespräch hier tippen» — Lewis wies mit dem Kopf auf das Tonbandgerät — «dann müssen wir Sie dazu bringen, es durchzulesen und zu unterschreiben... und, äh... ich denke, daß wir das alles nicht schaffen, bis...» Lewis sah wieder auf seine Uhr und fragte sich noch immer, wie die Dinge standen. Dann drehte er sich um und sagte: «Wir kümmern uns wohl lieber darum, daß Mr. Michaels mit uns Lunch ißt, Watson. Was gibt es heute?»
    «Dienstags immer Hackfleisch, Sarge.»
    «Die meisten Leute würden einen Sexfilm vorziehen», sagte Michaels, fast fröhlich.
    Lewis stand auf, nickte Watson zu und sagte, schon im Begriff zu gehen: «Noch etwas, Sir. Ich fürchte, ich kann Sie nicht gehen lassen, bevor der Chief Inspector zurück ist. Er hat ausdrücklich gesagt, daß er Sie noch sprechen wollte.»
    «Und wo ist er an diesem Vormittag?»
    «Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich habe keine Ahnung.»
    Während er zurück zu seinem Büro ging, dachte Lewis nach über das, was er gerade gehört hatte. Morse hatte bisher praktisch mit allem recht gehabt — bis zu diesem letzten Punkt. Denn sicher mußte Morse sich drastisch irren, wenn er annahm, Michaels habe Daley ermordet? Zur gegebenen Zeit würden sie sein Alibi überprüfen, aber es war doch vollkommen unvorstellbar, daß zwei engagierte Ornithologen sich mit dem Barmann vom lokalen Pub zusammentaten, um den natürlichen Lauf des Rechts zu verhindern. Völlig unvorstellbar!

    Um 12.30 Uhr rief Dr. Hobson von der South Parks Road aus an, um mitzuteilen, daß sie zwar eine Amateurin auf den Seitenwegen der Ballistik sei, sich aber sehr wundern würde, wenn mit Michaels’ Gewehr während der letzten paar Wochen geschossen worden sei.
    «Büchse», murmelte Lewis, sotto voce.
    «Ist er... ist er da?» fragte Laura Hobson zögernd.
    «Wird irgendwann heute nachmittag zurück sein.»
    «Oh.»
    Allmählich sah es so aus, als wolle jedermann Morse sprechen.
    Besonders Lewis.

Kapitel neunundfünfzig

    Aus diesem Grund hängen Mütter mehr an ihren Kindern als Väter: Sie leiden mehr, wenn sie sie zur Welt bringen, und sie wissen mit größerer Bestimmtheit, daß es ihre eigenen sind

    (Aristoteles, Nikomachische Ethik)

    Die Mittagssonne schien auf das blaßzimtfarbene Gemäuer der College-Gebäude, unddie Turmspitzen Oxfords schauten hinunter auf eine Szene scheinbarer Friedlichkeit, als das gekennzeichnete Polizeiauto vom Headington Hill zur Plain fuhr, dann weiter über die Magdalen Bridge und in die High Street hinein. Morse saß hinten, mit düsterem Gesicht und jetzt schweigend, nachdem er ausführlich zu der etwas verblühten Frau von etwa Mitte vierzig neben ihm gesprochen hatte. Ihre Augen waren gerötet von vor kurzem vergossenen Tränen, ihr Mund bebte noch immer, doch ihr kleines Kinn war fest und entschlossen, trotz der schrecklichen Ereignisse, von denen sie erst vor zwei Stunden erfahren hatte — als es im Haus ihrer Schwester in der städtischen Wohnsiedlung in Beaconsfield an der Tür läutete. Doch die Nachricht, daß ihr Ehemann ermordet worden und ihr einziger Sohn von zu Hause weggelaufen sei, hatte sie nicht so sehr vernichtet als vielmehr verblüfft, als hätte sich eine getrennte Schicht von Gefühlen und Reaktionen zwischen ihr selbst und der äußeren Realität dessen, was geschehen war, gebildet.
    Es hatte ihr auch etwas geholfen, mit dem Chief Inspector zu sprechen, der viel von dem, was sie durchmachte, zu verstehen schien. Nicht daß sie ihr Inneres zu sehr entblößt hätte, was den zunehmenden Widerwillen betraf, den sie für den Mann, den sie geheiratet hatte, empfand, den Mann, der während der Jahre ihres gemeinsamen Lebens langsam, aber zwangsläufig enthüllt hatte, wie seicht, verschlagen und manchmal sogar grausam er war. Aber Philip war dagewesen, und lange Zeit hatte das kleine Kerlchen sie auf vielfache Weise entschädigt für das

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