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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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höchstwahrscheinlich geschrieben worden sein, bevor sein Verfasser das neueste Kommuniqué von dem bisher unerschrockensten Gipfelstürmer gelesen hatte, von dem Autor des ganz ungewöhnlichen Briefes, der am Tag vorher in den Spalten für Leserzuschriften in der Times erschienen war.
    Strange wandte sich an Lewis: «Ihnen ist doch klar, daß das den Durchbruch bedeutet?»
    Lewis hatte, wie jeder andere Polizist im Präsidium, den Brief gelesen, und ja, er hielt es auch für den Durchbruch. Wie könnte es anders sein? Aber er verstand nicht, warum Strange ihn — ihn — an diesem Morgen zu sich gebeten hatte. Er war sowieso sehr müde und sollte von Rechts wegen im Bett liegen. Samstag wie auch Sonntag nacht hatte er, wie die meisten Polizisten aus der Gegend, seine Zeit fast bis zur Morgendämmerung hinter einem Schutzschild verbracht, einem Hagel von Ziegelsteinen ausgesetzt, und Beschimpfungen von einer Bande von Rowdies, die die Kunstfertigkeiten im Schleudern von gestohlenen Autos von anderen Jugendlichen beklatschten — unter denen (wenn Lewis es nur gewußt hätte) ein siebzehnjähriger Schuljunge war, der später den Schlüssel zum Geheimnis des Schwedenmädchens liefern sollte.
    «Lewis! Sie hören mir doch zu?»
    «Verzeihung, Sir?»
    «Sie erinnern sich, wie Morse genörgelt hat, man solle die Suche von Blenheim nach Wytham verlegen?»
    «Ja, Sir. Aber er hat den Fall nicht länger als einen Tag oder so bearbeitet.»
    «Das weiß ich», schnauzte Strange. «Aber er muß doch einen Grund gehabt haben?»
    «Ich konnte einigen seiner Gründe nie ganz folgen.»
    «Wissen Sie, wieviel einige dieser verdammten Suchen kosten?»
    «Nein, Sir.»
    Vielleicht wußte Strange es auch nicht, denn er wechselte sofort das Thema: «Glauben Sie, daß Morse recht hatte?»
    «Keine Ahnung, Sir. Ich meine, er ist große Klasse, aber manchmal liegt er furchtbar schief, nicht wahr?»
    «Und öfter hat er verdammt recht!» sagte Strange heftig.
    Es war ein merkwürdiger Rollentausch, und Lewis beeilte sich, die Dinge wieder klarzustellen. «Ich selber glaube, Sir, daß...»
    «Ich gebe keinen Pfifferling für das, was Sie denken, Sergeant! Wenn ich den Wytham-Wald durchsuchen will, werde ich ihn verdammt noch mal durchsuchen bis Freitag in einem Jahr, falls ich — falls ich — es für der Mühe wert halte. Klar?»
    Lewis nickte wortlos und beobachtete, wie dem Super die Zornesröte ins Gesicht stieg.
    «Ich weiß nicht so recht, was ich mit all dem zu tun habe...» setzte er an.
    «Nun, das werde ich Ihnen sagen! Es gibt nur eines, was Sie tun können, Sergeant, und ich nicht, nämlich den mürrischen alten Scheißkerl zurück zur Arbeit bringen — mit Fingerspitzengefühl. Ich stehe von allen möglichen Seiten verdammt unter Druck...»
    «Aber er hat Urlaub, Sir.»
    «Ich weiß, daß er seinen verdammten Urlaub nimmt. Ich hab ihn gestern gesehen; er trank Schampus und hörte Schubert mit irgendeiner Nutte.»
    «Sind Sie sicher, daß es Champagner war, Sir?»
    Aber Strange appellierte jetzt leise, fast rührend, an Lewis: «Der Himmel mag wissen, warum, Lewis, aber er ist immer bereit, Ihretwegen gewisse Umstände auf sich zu nehmen. War Ihnen das klar?»

    Er telefonierte von Morses eigenem (leeren) Büro aus.
    «Ich bin es, Sir. Lewis.»
    «Ich habe Urlaub.»
    «Der Super hat gerade mit mir gesprochen...»
    «Freitag, habe ich gesagt.»
    «Haben Sie den Brief über Wytham gelesen, Sir?»
    «Im Gegensatz zu Ihnen und Ihren spießbürgerlichen Kumpanen umfaßt meine tägliche Lektüre die königlichen Rundschreiben in der Times, die Leitartikel...»
    «Was sage ich dem Super, Sir? Er möchte, daß wir — Sie und ich — sofort übernehmen.»
    «Sagen Sie ihm, ich werde mich melden — morgen.»
    «Ich soll ihm sagen, daß Sie anrufen werden?»
    «Nein. Sagen Sie ihm, daß ich morgen den Dienst wieder aufnehme. Sagen Sie ihm, irgendwann nach sieben bin ich in meinem Büro.»
    «Da wird er noch nicht wach sein, Sir.»
    «Seien Sie nicht zu streng mit ihm, Lewis. Er wird alt — und ich glaube, er hat zu hohen Blutdruck.»
    Als Lewis höchst zufrieden den Hörer auflegte, wußte er, daß Strange recht gehabt hatte — was Morse und ihn selbst betraf, und ihm wurde klar, daß im Fall des Schwedenmädchens sie beide wieder zusammenarbeiten würden — mit Wirkung vom nächsten Tag.

    In seinem Büro nahm Strange wieder den Ausschnitt von der Times in die Hand und las den Brief noch einmal. Wirklich erstaunlich!

    Von Mr. Lionel

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