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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Gedanken ganz oben stand. Und da waren Sie, Claire. Ganz oben.»
    Er hatte ganz schlicht gesprochen, und seine Blicke wanderten von ihren Beinen zu ihrem Gesicht. Frustration und Zorn verließen sie plötzlich, und ihre Schultern waren herrlich entspannt, als sie sich gegen die weiche Rückenlehne der Sitzbank lehnte.
    Lange Zeit sprachen sie beide nicht. Dann setzte Claire sich vor, leerte ihr Glas und stand auf.
    «Müssen Sie gehen?» fragte Morse leise.
    «Demnächst.»
    «Ich habe noch eine Flasche.»
    «Nur wenn Sie mir versprechen, nett zu mir zu sein.»
    «Wenn ich Ihnen noch einmal sage, was für wunderschöne Beine Sie haben?»
    « Und wenn Sie noch einmal die Platte auflegen.»
    «Tatsächlich ist es eine CD. Bruckners Achte.»
    «Das also war es. Dann lag ich doch gar nicht so falsch, oder?»
    «Sogar sehr nahe dran», sagte Morse. Und dann zu sich selbst: für ein oder zwei Minuten sogar sehr, sehr nahe.

    Auf halber Höhe des zweiten Satzes, und nachdem die zweite Flasche zu drei Vierteln geleert war, klingelte es an der Haustür.
    «Ich kann Sie im Augenblick nicht hereinbitten, fürchte ich, Sir.»
    Strange schnupperte, und seine kleinen Augen waren mißtrauisch.
    «Tatsächlich? Das überrascht mich ein wenig, Morse. Tatsächlich überrascht es mich, daß Sie nicht zwei von mir nicht hereinbitten können!»

Kapitel zweiundzwanzig

    In einem Definitionen- und Buchstaben-Rätsel besteht jeder Hinweis aus einem Satz, der eine Definition der Antwort und eine Mischung der Buchstaben enthält

    (Don Manley,
    Chambers Crossword Manual)

    Am nächsten Morgen, Dienstag, dem 14.Juli, waren nur Strange und Lewis in Stranges Büro.
    Strange war nicht wenig überrascht gewesen, als Morse es ganz eindeutig abgelehnt hatte, den Rest seines Urlaubs zu verschieben und sofort zum Präsidium zurückzukehren, um den Fall offiziell zu übernehmen, besonders angesichts des letzten Briefes — doch sicherlich der Durchbruch, auf den sie alle gehofft hatten. Andererseits gab es mehr Dinge im Leben als ein blondes Mädel, das vor einem Jahr ermordet worden war oder auch nicht. Diese verdammten Spritztouren zum Beispiel, die jetzt bis in die offiziellen Nachrichten und die Schlagzeilen in den Zeitungen vorgedrungen waren. Aber es diente alles dazu, die Dinge wieder ein wenig in die richtige Perspektive zu rücken — wie der Brief, den er selbst () an diesem Morgen mit der Post erhalten hatte:

    Chief Superintendent Strange
    Polizeipräsidium
    Kidlington

    Dear Sir,
    es ist völlig in Ordnung, wenn unsere hervorragenden Krimiautoren vorgeben, daß der Durchschnittskriminelle im UK sich bei der Durchführung seiner Verbrechen eines ganz außergewöhnlichen Scharfsinns rühmen kann. Aber jene von uns, die (wie Sie) ihr Leben der Aufdeckung solcher Verbrechen gewidmet haben, sollten in diesem Augenblick jedermann daran erinnern, daß die überwältigende Mehrheit der Kriminellen nicht mit den hervorragenden Geisteskräften ausgestattet ist (glücklicherweise!), die man allgemein voraussetzt.
    Es liegt natürlich auf der Hand, daß wir alle außerordentlich dankbar wären, wenn irgendein Verbrecher als Folge der Leserkorrespondenz etc. in der nationalen Presse zur Rechenschaft gezogen werden kann. Aber ich selbst halte ein solches Ergebnis für sehr bedenklich, und in einem weiteren Sinn bin ich sehr besorgt über den zur Diskussion stehenden Präzedenzfall. Wir haben alle von Gerichtsverhandlungen im Fernsehen gehört, und jetzt scheinen wir uns Ermittlungen per Leserzuschriften zu nähern. Das ist einfach absurd. Wie ich die Dinge sehe, ist diese Geschichte ohnehin mit ziemlicher Sicherheit ein Schabernack, bei dem der Initiator (oder die Initiatorin?) sich köstlich amüsiert, während verschiedene Briefschreiber miteinander wetteifern, immer höhere Gipfel einer scharfsinnigen Auslegung der Ereignisse zu erklimmen. Wenn es nicht um einen Schabernack geht, muß ich darauf bestehen, daß jede Erkenntnis in der Sache zuerst an die zuständigen Stellen der Polizei weitergeleitet wird, und ganz gewiß nicht an den Rundfunk, das Fernsehen oder die Zeitungen, so daß der Fall auf dem üblichen Weg durch die Kriminalpolizei gelöst werden kann.
    Mit freundlichen Grüßen
    Peter Armitage
    (ehemaliger Assistant Commissioner, New Scotland Yard)

    PS: Ich bin sicher, ich brauche nicht zu erwähnen, daß dieser Brief in keinerlei Weise zur Veröffentlichung bestimmt ist.

    Aber dieser Brief mußte

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