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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Teufel tun Sie hier?» war die Begrüßung, die Claire erwartet hatte. Aber er sagte nichts, als er die Tür öffnete, bückte sich, um eine Flasche halbfetter Milch mit rotem Verschluß aufzuheben, und bat sie mit einer altmodischen Geste der Gastlichkeit ins Haus. Sie fand sich in einem großen Wohnzimmer, in dem zwei Sitzbänke einander gegenüberstanden, die eine, auf die Morse zeigte, links von ihr, in hellem, honigfarbenem Leder, wunderbar weich und bequem, wie sie feststellte, als sie sich setzte. Musik spielte — etwas Schwermütiges, Trauriges, das sie fast zu erkennen glaubte. Spätes neunzehntes Jahrhundert? Wagner? Mahler? Sehr eindringlich und schön. Aber Morse drückte einen Knopf in einer hochmodernen Schaltanlage in den Regalen hinter der zweiten Sitzbank, die kleiner und mit schwarzem Leder bezogen war, und dort ließ er sich nieder und schaute zu ihr hinüber, eine Spur von Belustigung in den blauen Augen, doch keine Überraschung.
    «Für mich brauchen Sie es nicht abzustellen.»
    «Natürlich nicht. Ich habe es für mich abgestellt. Ich kann nie zwei Dinge auf einmal tun.»
    Mit einem Blick auf das fast leere Rotweinglas auf dem niedrigen Tisch neben ihm wagte Claire, an der buchstäblichen Wahrheit seiner Worte zu zweifeln.
    «Es war Wagner, nicht wahr?»
    Morses Augen zeigten einen Funken von Interesse. «Es weist einige der harmonischen und melodischen Merkmale Wagners auf, zugegeben.»
    Was für ein Haufen Mist, der aufgeblasene Esel! Zum Teufel mit ihm! Warum sagte er es ihr nicht einfach? Sie zeigte auf die Flasche Quercy. «Ich dachte, Sie können nicht zwei Dinge auf einmal bewältigen?»
    «Oh! Aber Trinken ist fast wie Atmen. Man braucht nicht darüber nachzudenken, oder? Und es tut einem gut — wußten Sie das? Es gibt diesen neuen Bericht, in dem steht, daß ein regelmäßig eingenommener Tropfen außerordentlich gut für das Herz ist.»
    «Aber nicht ganz so gut für die Leber.»
    «Nein.» Er lächelte sie jetzt an, auf der Sitzbank zurückgelehnt und die Arme auf der Rückenlehne ausgestreckt. Er trug dasselbe kurzärmelige rosa Hemd, in dem sie ihn am vergangenen Sonnabend gesehen hatte. Wahrscheinlich fehlte eine Frau im Haus.
    «Ich dachte, man soll warten, bis die Sonne tiefer als die Rahe gesunken ist oder so ähnlich.»
    «Das ist ein seltsamer Zufall!» Morse zeigte auf die Times auf dem niedrigen Tisch. «Das kam heute morgen im Kreuzworträtsel:
    «Was genau ist eine Rahe?»
    Morse schüttelte den Kopf. «Ich bin an Booten und so was nicht interessiert.»
    Ihr Exemplar der letzten Sunday Times und die heutige Times noch immer fest in der Hand, sah Claire sich um, sah die Bücherregale an den Wänden, die Stapel von Schallplatten überall, die Bilder (eines oder zwei ein klein wenig schief). Besonders gut gefiel ihr das Aquarell über Morses Kopf, das in bläulich-purpurnen Farbtönen die Skyline von Oxford zeigte. Allmählich fand sie Gefallen an dem Wortgeplänkel, das gab sie vor sich zu, aber irgend etwas an dem Mann irritierte sie dennoch. Zum erstenmal sah sie ihn direkt an.
    «Sie spielen mir etwas vor, nicht wahr?»
    «Pardon?»
    «Sie geben vor, daß es Sie nicht überrascht, mich zu sehen.»
    «Das bin ich auch nicht. Ich habe Sie gestern vor dem Cotswold House sitzen sehen; Sie rauchten eine Zigarette. Ich war auf dem Weg nach Cutteslowe, um mir eine Zeitung zu holen.»
    «Haben Sie etwas dagegen, wenn ich jetzt rauche?»
    «Nein, überhaupt nicht. Ich, äh, ich habe aufgehört.»
    «Seit wann?»
    «Seit heute morgen.»
    «Wollen Sie eine?»
    «Ja, bitte.»
    Claire inhalierte tief, schlug die Beine übereinander und zupfte ihren Jaeger-Rock ein Stückchen über die Knie.
    «Warum haben Sie nicht hallo gesagt?» fragte sie.
    «Ich war auf der anderen Straßenseite.»
    «Nicht sehr nett, nicht?»
    «Warum haben Sie nicht hallo zu mir gesagt?»
    «Ich habe Sie nicht gesehen.»
    «Ich denke, doch.» Seine Stimme klang plötzlich sanft, und sie hatte das Gefühl, er wisse viel mehr über sie, als er wissen sollte. «Ich glaube, daß Sie mich auch spät am Samstag nachmittag gesehen haben — kurz nach Ihrer Ankunft.»
    «Sie haben mich gesehen ? Sie haben mich gesehen, als Sie mit Ihrem Schnaps vorbeimarschierten?»
    Morse nickte.
    Der Teufel soll ihn holen! Der Teufel soll ihn holen!
    «Vermutlich glauben Sie, daß Sie wissen, warum ich jetzt zu Ihnen gekommen bin.»
    Morse nickte wieder. «Aber nicht, weil ich ein Hellseher bin. Nur, gestern hat mich

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