Finstere Gründe
Johnsons Gefühle jedoch waren sehr gemischt: Morse hatte die Leiche des Mädchens in wenigen Tagen gefunden, während er selbst in zwölf Monaten nichts erreicht hatte. Und das war die simple Wahrheit. Es war natürlich gut für den Fall, aber nicht so gut für seine eigene Arbeitsmoral oder seine Stellung unter seinen Kollegen oder für seine Frau... und schon gar nicht für seine jüngst erworbene Schwiegermutter. Aber als eine Stunde später die Besprechung abgebrochen wurde, schüttelte er Morse die Hand und wünschte ihm alles Gute und meinte es fast ehrlich.
Nachdem der ACC und Johnson gegangen waren, wünschte Strange seinerseits Morse anhaltenden Erfolg und bemerkte dabei, daß jetzt, da Morse eine Leiche gefunden hatte, er nur noch einen Mörder herbeizuschaffen brauchte, so daß er, Strange, einen hübschen kleinen Bericht für den DPP (Director of Public Prosecutions) erhalten würde. Keine Probleme! Dann würden sie den Klugscheißern von Verteidigern in den Hintern treten und den Scheißkerl, der es getan hatte, für den Rest seiner Tage einlochen. Ihm einen Strick um den verdammten Hals legen, wenn es nach ihm, Strange, ginge.
«Vielleicht besser, daß wir die sechs aus Birmingham nicht gehängt haben», sagte Morse leise.
Kapitel siebenundzwanzig
Es war eine Maxime Foxeys — unseres verehrten Vaters, meine Herren —,
(Charles Dickens,
The Old Curiosity Shop)
Am Morgen des nächsten Tages, Sonnabend, dem i8.Juli, schien Morse, wie Lewis es sah, etwas zurückhaltend, etwas reserviert. Es war üblich für den Chief, einen neuen Fall mit einem Übermaß an Selbstvertrauen und Eifer zu beginnen (wenn auch nicht immer fortzuführen), und zweifellos würde das auch bald wieder so sein, nur im Augenblick war es das nicht.
«Allzu viele Anhaltspunkte gibt es da nicht, Sir.» Lewis wies mit dem Kopf auf die beiden roten Aktenordner auf dem Tisch.
«Ich habe meine Hausaufgaben auch gemacht, müssen Sie wissen.»
«Wo fangen wir an?»
«Schwer zu sagen. Wir sollten eigentlich warten, bis wir von Max hören, bevor wir zuviel unternehmen.»
«All das DNA-Zeug, meinen Sie?»
«DNA? Er weiß nicht, was das bedeutet!»
«Wann ist sein Bericht fällig?»
«Heute im Lauf des Tages, sagte er.»
«Und was heißt das?»
«Heute abend?» Morse zuckte mit den Schultern. Aber er beugte sich plötzlich vor aus dem schwarzen Lederstuhl, schien munter zu werden, zog seinen silbernen Parker-Kugelschreiber hervor und machte ein paar winzige Notizen, während er sprach:
«Es gibt mehrere Leute, die wir ziemlich bald sprechen müssen.»
«An wen denken Sie, Sir?»
«An wen ich denke? Nun, Nummer eins, da wäre der Bursche, der den Rucksack gefunden hat — Daley. Wir werden seine Aussage mit einem Läusekamm durchgehen. Er hat mir von Anfang an nicht gefallen.»
«Sie haben ihn nie gesehen, oder?»
«Nummer zwei. Da ist die Frau vom YWCA, die mit Karin sprach, bevor diese sich auf den Weg nach Oxford machte. Sie hört sich nett an.»
«Aber Sie haben sie nie...»
«Ich habe mit ihr telefoniert, Lewis, wenn Sie es genau wissen wollen. Sie hört sich nett an — mehr habe ich nicht gesagt. Sie haben doch nichts dagegen ?»
Lewis lächelte. Es tat gut, wieder im gewohnten Trott zu sein.
«Nummer drei.» Morse nahm den Faden wieder auf. «Wir müssen uns ausführlich mit dem Typ aus Wytham unterhalten — dem einsamen Ranger, oder wie er sich nennt.»
«Oberförster, Sir.»
«Genau.»
«Hat er Ihnen gefallen?»
Morse betrachtete die tintenbeschmierten Finger seiner rechten Hand. «Er hat uns praktisch erzählt, wo sie lag, nicht wahr? Hat uns gesagt, wo er eine Leiche verstecken würde, wenn er es müßte...»
«Nicht sehr wahrscheinlich, daß er es uns gesagt hätte, wenn er selbst sie dort hingelegt hat, oder? Selbstbelastung wäre das!»
Morse schwieg.
«Die Zeugen, die sagten, sie hätten sie gesehen, Sir — hat es Sinn, wenn wir sie uns noch einmal vornehmen?»
«Ich bezweifle es, aber... Also, schreiben wir sie auf, Nummer vier. Und Nummer fünf, die Eltern...»
«Nur die Mutter, Sir.»
«...in Uppsala...»
«In Stockholm jetzt.»
«Ja. Wir werden noch einmal mit ihr sprechen müssen.»
«Zuerst müssen wir es ihr doch sicher sagen.»
«Wenn es Karin ist, meinen Sie?»
«Sie haben keine großen Zweifel, nicht wahr, Sir?»
«Nein!»
«Ich nehme an, Sie werden selbst hinfliegen? Nach Stockholm, meine ich.»
Morse sah auf, offensichtlich ziemlich
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