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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Zeit nehmen, die Anweisungen sorgfältig lesen und wissen, daß Sie auf dem falschen Weg sind, wenn mehr als sanfter Druck für den Zusammenbau erforderlich ist.> Gelegentlich verlagerte Morse sein Gewicht ein wenig auf den dicht aufeinandergepreßten Zweigen und dem Laub unter seinen Füßen, aber er sagte noch immer nichts. Und die anderen, die dort standen, schwiegen auch, wie linkische Trauergäste bei einer Beerdigung.
    Lewis war an diesem Nachmittag damit beschäftigt, mit den Universitätsbehörden zu verhandeln, und würde nicht kommen. Aber keiner von ihnen, weder Morse noch Lewis, würde zu diesem Zeitpunkt viel tun können. Max würde die Flauptperson sein, und Max war bereits unterrichtet worden und schon auf dem Weg, Max, der zehn Minuten später schwerfällig über den knisternden Farn stampfte und keuchend neben Morse stehenblieb.
    Stumm, genauso wie Morse vorher, betrachtete der Arzt den traurigen Anblick am Fuß eines immergrünen Baumes, dessen untere Äste blattlos, zerbrechlich, tot waren. Wenn ein Versuch gemacht worden war, die Leiche zu verstecken, war das jetzt nicht mehr zu sehen, und es war beunruhigend, daß einige der größeren Knochen fehlten, so der ganze linke Unterarm. Es sah so aus, als seien die Kleider etwas besser erhalten als der Körper: mehrere Fetzen eines fleckig weißen Stoffes und wesentliche Teile von etwas, das wie Blue Jeans aussah, vielleicht, und etwas gelbliches, strohfarbenes Haar klebte grausigerweise noch an dem Schädel.
    Aber Morse hatte nicht lange auf den Schädel geschaut...
    «Ist es das, was Sie gesucht haben, Morse?»
    «Ja. Ich glaube, das ist sie.»
    «Sie?»
    «Ich bin überzeugt, daß es eine ist», sagte Morse bestimmt.
    «Wissen Sie, was die letzten Worte meiner alten Mutter waren? Sie hatte vorher am Tag, dem Tag, an dem sie starb, gebacken. Dann mußte sie sich ins Bett legen, aber sie wollte trotzdem wissen, was aus dem Kuchen geworden war. Und der Kuchen war flach. Das verdammte Ding hatte vergessen aufzugehen, Morse! Und sie sagte: Dann schloß sie die Augen — und starb.»
    «Es ist das Mädchen», wiederholte Morse.
    Max gab keinen weiteren Kommentar von sich und sah zurückhaltend zu, als Morse dem Tatort-Beamten und dem Polizeifotografen zunickte, die beide schon einige Zeit gewartet hatten. Wenn noch etwas von Bedeutung dort lag, was Morse hätte auffallen müssen, so wußte er es nicht, aber er war noch immer nervös wegen des Bodens innerhalb der Absperrung und gab den beiden Anweisung, sich so weit wie möglich von dem schrecklichen Fund fernzuhalten. Nachdem der Fotograf einige Minuten mit Blitzlicht gearbeitet hatte, betrat Max etwas zaghaft das abgesperrte Gebiet, hakte sich eine uralte Brille hinter die großen Ohren, sah hinunter auf die Reste des Skeletts und nahm einen Knochen in die Hand.
    «Femur, Morse. Femur, femoris, neutrum. Der Oberschenkelknochen.»
    «Und?»
    Max legte den Knochen vorsichtig wieder hin und wandte sich an Morse. «Hören Sie, alter Freund, ich bitte Sie nicht oft um forensische Belehrung, aber geben Sie mir ausnahmsweise einen Rat? Was zum Teufel soll ich mit diesem verdammten Haufen Knochen?»
    Morse schüttelte den Kopf. «Ich bin mir nicht sicher.» Aber plötzlich glühten seine Augen, als ob in ihm ein innerer Strom eingeschaltet worden wäre. «Ich wußte, daß sie hier sein würde, Max», sagte er langsam. «Irgendwie wußte ich es. Und ich werde herausfinden, wer unser Schwedenmädchen ermordet hat. Und ich möchte, daß Sie mir helfen, Max! Helfen Sie mir, ein Bild zu malen von dem, was an diesem Ort vor sich gegangen ist.»
    Die beinahe messianische Heftigkeit, mit der Morse diese Worte gesprochen hatte, hätte die meisten Menschen bewegt. Doch nicht Max.
    «Sie sind der Künstler, mein lieber Junge. Ich bin nur ein bescheidener Wissenschaftler.»
    «Wie lange brauchen Sie?»
    «Mir die Knochen anzusehen, meinen Sie?»
    «Und die Kleider... und die Unterwäsche.»
    «Ah, ja! Ich erinnere mich. Sie haben sich immer für Unterwäsche interessiert.» Er schaute auf seine Uhr. «Die Pubs machen um sechs auf? Ich werde mich in der Bar im ersten Stock im White Hart mit Ihnen...»
    «Geht nicht. Ich habe um halb sieben eine Besprechung im Präsidium.»
    «Tatsächlich? Ich dachte, Sie hätten diesen Fall übernommen, Morse.»

    Es waren wieder die vier zusammen: der ACC, Strange, Johnson und Morse, und Morse wurde natürlich großzügig gratuliert.

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