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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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transportierten und bearbeiteten und schließlich das Holz an Möbelhändler und Zaunhersteller und den ganzen Rest verkauften — diese Kosten würden immer beträchtlich bleiben. Und die Stiftung war schon vor langem übereingekommen, daß sie am besten fahren würden, wenn sie die ganze Angelegenheit des Lichtens des Baumbestandes etc. als, nun, als Wie-du-mir-so-ich-dir-Geschäft betrachten würden: Sie würden für das Zurückschneiden des vielen Unterholzes und der Dickichte nichts bezahlen, und die Holzfäller und Fuhrunternehmer ihrerseits erhielten den Erlös aus dem Verkauf von den Zehntausenden von verschiedenen Baumstämmen, die jährlich den Wytham-Wald verließen. Aber gelegentlich funktionierte das System nicht so recht — wenn etwa einige der Aufforstungsareale noch nicht bereit für eine Dezimierung waren, oder wenn das Lichten eines bestimmten Gebietes, aus welchen Gründen auch immer, für ein paar Jahre zurückgestellt werden mußte.
    Eine solche Situation hatte sich im Vorjahr bei der letzten Bepflanzung (1958—62) ergeben — eine gemischte Bepflanzung von Rottanne, Eiche, Buche, Virginischem Wacholder —, in dem Gebiet, das Pasticks genannt wurde. Und das wäre kein schlechter Platz für eine Leiche! Die Bäume dort ließen nur wenig Licht durch, und mittendrin gab es drei oder vier alte Dickichte, die schon vor der Zeit der Stiftungsurkunde existiert hatten. Dichte Stellen. Doppeldicht.
    Berridge und Watt fanden ihre Aufgabe jedenfalls sehr wenig einladend. Nach zwei oder drei Metern im Wald schien überall ein Vorhang vor ihnen herunterzufallen und jede weitere Suche unmöglich zu machen, wobei die waagerechten und senkrechten, blattlosen Äste eine Art verschleierndes, verworrenes, braunes Netz bildeten, das ihnen die Sicht nahm.

    Ziemlich viele Stunden später, um 15.55 Uhr, hörten die beiden zutiefst pessimistischen und fortschreitend pessimistischeren Constables irgendwo links von ihnen einen triumphierenden Schrei. Man hatte eine Leiche gefunden, und sehr bald hatten die einzelnen Flügel der Suchmannschaft den Fundort umschlossen wie die Flügel einer Vogelmutter, die ihre Jungen beschützt.
    Die Füchse waren schon dagewesen — wie es aussah, recht oft — , und die Dachse und die Vögel... denn die Knochen von offenbar einem einzigen Menschen waren auseinandergezerrt — und in einigen Fällen augenscheinlich entfernt worden. Doch nicht so weit entfernt, daß das ursprüngliche Muster nicht mehr zu erkennen gewesen wäre. Ein Oberschenkelknochen befand sich noch immer in annähernd normaler Lage zum Becken; einige Rippen in etwa paralleler Anordnung darüber; ein Schulterknochen lag ungefähr richtig zur Wirbelsäule, und die Wirbel selbst waren zwei oder drei Fuß entfernt von einem verhältnismäßig kleinen und schlimm zugerichteten Schädel. Nicht weit entfernt von dem Schädel fand sich ein verblichenes Halstuch mit Fransen; man konnte die ursprünglichen Farben noch erkennen — die stolzen Farben der schwedischen Nationalflagge.

Kapitel sechsundzwanzig

    Wissenschaft ist Spektralanalyse;
    Kunst ist Photosynthese

    (Karl Kraus)

    Es sprach sich schnell herum, und überall hörte man das gleiche: Das war wieder mal typisch für ihn, erst zwei Tage ermittelt, erst einen Tag den Wald durchkämmt, und heureka! Gescheiter Bursche, der Morse! Vielleicht auch ein bißchen Glück dabei. Hätte noch eine Woche dauern können, wenn sie an der anderen, der westlichen Seite des Waldes angefangen hätten.

    «Nichts berühren!», «Abstand halten!» war befohlen worden, und eine ziemlich unordentliche Absperrung war um ein ungestörtes, unbetretenes Gebiet von vier oder fünf Quadratmetern teppichartigen dunkelbraunen Waldbodens gezogen worden.
    Morse traf innerhalb von zwanzig Minuten ein; er stand jetzt schweigend da und machte keinen Versuch, über das hüfthohe, rotweiße Band zu gelangen; seine Augen registrierten das, was er vor sich sah. Er sah die auseinandergezerrten Knochen, die noch übriggebliebenen zerstreuten Kleidungsstücke, und im besonderen sah er das Halstuch mit Fransen neben dem schrecklich zugerichteten Kopf. Es erinnerte ihn an etwas aus einem Do-it-yourself-Handbuch, wo verschiedene Pfeile von den äußeren Teilen auf eine angenommene Mitte zeigen und Anweisungen für den Zusammenbau des erworbenen Gegenstandes erteilen: