Finsteres Gold
einen Ort im Himmel.
Die Haustür geht auf. Ich wende den Blick nicht vom Bildschirm. »Hallo, Betty!«
»Nein, nicht Betty«, sagt Nicks Stimme. Er schließt die Tür hinter sich und betritt das Wohnzimmer. Nachdem er seine Jacke abgestreift hat, hängt er sie über den Pfosten unten am Treppengeländer.
Ich stelle meinen Laptop neben ein paar alte Stephen-King-Bände, die mein Stiefvater früher gelesen hat, auf den Couchtisch, springe auf und laufe ihm entgegen: »Du darfst nicht böse sein, ja? Ich war mir nicht hundert Prozent sicher, ob er ein Elf ist. Er lag im Sterben. Und das konnte ich nicht zulassen, und als dann diese Walküre-Frau kam, habe ich einfach … ach, keine Ahnung. Ich konnte nicht zulassen, dass sie ihn mitnimmt.«
Nicks Hand legt sich an meinen Hinterkopf. Er riecht nach Wald. Seine Augen schauen mich direkt an. Ich blicke nach unten, und er sagt: »Ich bin nicht wütend auf dich, Zara.«
»Gut!«
»Ich bin nur enttäuscht. Ich hätte ihn nicht dortlassen sollen, aber ich hatte keine Zeit mehr. Jetzt ist er wieder frei, und das ist echt Scheiße. Aber du … ich weiß schon. Du lässt nicht einfach jemanden sterben.« Sein Mund kommt näher, und er flüstert. »Ich bin nicht böse. Das ist ja ein Grund, warum ich dich so sehr mag.«
Der strenge Zug um seinen Mund weicht, und seine Lippen werden weich. Ich lehne mich an ihn. Unsere Lippen berühren sich, er ist so sanft und zärtlich. Seine Hand fährt durch meine Haare. »Aber du bist nicht ganz einfach.«
Wir setzen uns auf das Sofa und küssen uns weiter. Ich seufze glücklich und kuschle mich an ihm. »Dann müssen wir ihn jetzt wohl suchen. Tut mir leid.«
»Ich weiß.« Er lümmelt sich hin und legt den Kopf auf meinen Schoß. Seine langen Beine hängen seitlich über die Armlehne. Er lächelt und schließt die Augen. Ich streiche mit den Fingern über seine Stirn und über die zarte Haut seiner Augenlider. Er nimmt meine Hand und küsst sie. Dann lässt er sie los.
»Du bist so gut zu mir«, murmelt er, und dann ist er eingeschlafen. Einfach so. Typisch Junge.
Vorsichtig angle ich mir meinen Laptop und stelle ihn neben mich auf das Sofa. Ich suche weitere Informationen über die Walküren, bis ich ein leises Klopfen am Fenster höre. Es ist ein Rotkehlchen mit einem Stück Papier im Schnabel. Es klopft noch einmal gegen das Fenster und lässt das Papier fallen, bevor es wegfliegt.
Ich stehle mich so vorsichtig wie möglich von Nick weg, durchquere auf Zehenspitzen den Raum und öffne die Haustür. Das klein zusammengerollte Stück Papier liegt auf der Bank auf der Veranda. Ich sehe mich um. Keine Spur von dem Rotkehlchen. Ich entrolle das Papier. Die Schrift ist winzig und fast kalligraphisch.
Dein Wolf ist in Gefahr. Wenn du wissen willst, warum , musst du mich freilassen. Du hast zwei Tage. Keine Werwesen.
Ich stecke den Zettel in die Tasche und schlurfe wieder hinein. Nick stöhnt im Schlaf. Ich berühre seine Augenlider. Wenn Nick in Gefahr ist, habe ich keine Wahl. Natürlich nicht. Ich habe überhaupt keine Wahl. Ein Elf hat mich mithilfe eines Vogels gerufen. Eines Vogels? Panik erfüllt mich. Wenn er mich mithilfe eines Vogels rufen kann, kann er dann auch jemand anders rufen? Vielleicht gerettet werden? »Das ist nicht gut«, murmle ich. »Das ist ganz und gar nicht gut.«
Elfen-Tipp
Elfen werden von Königen beherrscht und von ihren Begierden. Höchste Vorsicht ist geboten. Es stellt sich heraus, dass sie Vögel benutzen können.
Zwei Tage später brettern Is und ich waghalsig über baumgesäumte Wege durch den Wald.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das besonders klug ist?«, meint Is.
»Können wir uns jemals sicher sein, ob etwas klug ist«, bemerke ich philosophisch. »Wir müssen Vertrauen haben, Is. Wir müssen darauf vertrauen, dass wir das Richtige tun.«
»Mm-hm«, antwortet sie, aber es klingt nicht sehr überzeugt.
Der Brief hat mich in Panik versetzt. Ich habe Nick nichts erzählt, obwohl ich es eigentlich wollte. Stattdessen habe ich einen Plan gefasst und Issie um Hilfe gebeten.
Aus dem Kofferraum des Kombis ertönt eine müde, männliche Stimme. »Nichts gegen das Geplapper und die Bedenken junger Amerikanerinnen, aber ich hatte mir schon ein bisschen mehr Freiheit erhofft. Könntet ihr mich jetzt losbinden? Oder müssen wir dieses Entführungstheater weiterspielen? Ich habe eigentlich gedacht, ihr würdet mich freilassen.«
»Nein! Losbinden auf keinen Fall!«, schreie ich. Dann
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