Finsteres Gold
mich. »Einen Freund. Soweit sind wir noch nicht.«
»Er ist ein Tier«, höhnt er.
Ich fahre ihn an: »Er ist ein Mann. Ein Held. Ein heldenhafter Mann. Er ist keineswegs ein Tier.«
»Nicht dass an Tieren irgendwas schlecht wäre«, meint Issie ein wenig eingeschnappt. »Ich sehe nicht ein, warum sie immer ganz unten in der Hierarchie stehen müssen. Wenn du einen Hund tötest, bekommst du weniger als ein Jahr Gefängnis, wenn du einen Menschen tötest, bekommst du lebenslang. Und Vögel … Vögel kann jeder einfach umbringen, wenn sie nicht gerade auf der Roten Liste stehen.«
Ich ignoriere Issie, die immer rumschwafelt, wenn sie nervös ist, und versuche, weiterzukommen: »Warum kommen sie her?«, frage ich ihn.
»Weil sie wissen, dass ich verschwunden bin. Sie wissen, dass ich schwach bin. Alle wollen mehr Untertanen, über die sie herrschen können, und ein größeres Territorium.«
Ich stecke die Hände in die Tasche. »Wir halten sie einfach auf. Und damit basta.«
Er schüttelt den Kopf. »Einer wird das Haus finden. Sie werden Menschen anheuern, die eure Barrikaden niederreißen. Sie werden uns freilassen, und mein Volk … mein Volk ist hungrig und voller Begierde. Es wird dem neuen König folgen, und Chaos wird ausbrechen. Ohne Königin kann ich mein Volk nicht im Zaum halten. Du weißt das, Zara. Aus diesem Grund geschieht das alles.«
Ich höre, was er sagt, aber deshalb habe ich ihn nicht hierhergebracht. »Was? Was hat all das mit Nick zu tun? Ich meine, mit Nick vor allen anderen?«
»Dein Werwolf.« Er knurrt, als er das Wort ausspricht. »Dein Galan …«
»Galan?«, unterbricht Issie.
»Freund. Das ist ein altmodisches Wort für Freund«, erkläre ich ungeduldig.
Die Augen meines Vaters glühen zornig. »Dein Galan ist auch der selbst ernannte Beschützer dieser Stadt und von dir.«
»Na und.« Diese ganze Nick-beschützt-mich-Geschichte macht mich noch wahnsinnig. Ich kann selbst auf mich aufpassen.
Einen Augenblick lang bewegen sich seine Lippen, als ob er sich im Voraus über die Wörter klarwerden wollte, dann sagt er: »Wenn der andere Elf oder die anderen Elfen kommen, wird sich ihr König … er wird sich nicht um Nick und sein Wohlergehen kümmern. Und Nick ist das größte Hindernis auf dem Weg zu dir, also steht er direkt in der Schusslinie, wenn du so willst. Dem Elfenkönig wird der Tod eines Werwesens egal sein. Ihm wird es nur um die Beute gehen.«
»Beute? Welche Beute?«, fragt Issie. Sie stellt die Frage so langsam, als ob es zweiundvierzig Leben dauert, sie aus ihrem Mund hinaus in die gefrorene Luft zu befördern.
»Ja. Nicht nur mein Volk.« Er rutscht unter der Decke hin und her. Seine schmerzerfüllten Augen liegen tief in ihren Höhlen.
»Sondern?«, will ich wissen.
»Auch mein Territorium und du.«
Der Wind frischt wieder böig auf und drückt Issie und mich in seine Richtung. Ich stütze mich mit den Händen am Auto ab. Meine Haare fliegen mir ins Gesicht. Issie geht es genauso. Sobald es uns möglich ist, stellen wir uns wieder gerade hin. Ich versuche, meine Haare in den Jackenkragen zu stopfen.
»Du bist wütend«, stellt mein Vater fest.
»Ach wirklich? Woher weißt du das?« Ich kann nur mit Sarkasmus reagieren.
»Die Flammen, die aus deinen Augen schlagen, sind wahrscheinlich ein Hinweis«, bemerkt Issie.
Ich bin nervös. »Ich mag es einfach nicht, wenn man mich als Beute bezeichnet. Das ist sexistisch.«
»Sexistisch und ekelhaft«, fügt Issie hinzu. »Und absolut charakteristisch für das männliche Dogma, dass wir Frauen im Stadium der Unterdrückung zu halten sind.«
»Genau.«
Er senkt den Blick. »Das ist meine Schuld, Zara. Dein Blut stammt zur Hälfte von mir.«
»Ich bin ein Mensch.« Mein Magen verknotet sich. Der Tic-Tac-Minze-Geschmack in meinem Mund löst bei mir plötzlich einen Würgereiz aus.
»Nicht alle Elfen foltern. Nur die bösen, die vernachlässigten, die keinen König haben, oder jene, deren König grausam ist oder schwach, weil er keine Königin hat. Einige von uns stehen auf der Seite des Guten. Andere auf der Seite des Bösen. Und wieder andere, so wie ich, schwanken je nach Umstand und Schicksal hin und her.« Mein Vater zuckt mit keiner Wimper. »Zara ist ein Mensch. Aber sie riecht anders als die anderen Menschen. Die Werwesen merken das. Und die Elfen merken es auch. Wenn sie sich verwandeln würde …«
»Ich werde mich niemals verwandeln!«, schreie ich.
»… würde sie sehr mächtig werden, eine
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