Finsteres Gold
meine Worte in den Raum.
Issie schaut Hilfe suchend zu Devyn hinüber. »Weil er dir zunächst nicht vertraut hat. Deshalb hat er dir dieselbe Geschichte aufgetischt wie allen anderen.«
»Und auch später hat er mir nie genug vertraut, um mir die Wahrheit zu erzählen?«
»Ab einem gewissen Punkt ist man in seinen Lügen gefangen und kommt nicht mehr raus«, erklärt Devyn. »So erging es ihm auch. Ich bin mir sicher, dass er dir die Wahrheit erzählen wollte.«
Ich lasse seine Worte einen Augenblick wirken. Aber sie führen nicht dazu, dass ich mich besser fühle.
»Was ist mit seinen Eltern passiert?«, frage ich.
Issie piept wie ein nervöser Vogel. »Sie sind zu Hause gestorben. Glaube ich … also, na ja … Die Wahrheit ist: Nicks Vater ist verrückt geworden. Er hat sich verwandelt und seine Mom angegriffen. Da hat Nick ihn getötet.«
Das lässt mich aufhorchen. »Nick hat seinen Vater getötet?«
»Er hat ihn erschossen«, erklärt Devyn. »Er hatte keine Wahl. Sein Vater war absolut wild geworden. So etwas«, er riskiert einen Blick auf Issie, »passiert manchmal, nicht nur bei Wölfen, sondern bei uns allen. Es ist wie ein Virus, wie die Grippe, aber sie befällt nur Wandelwesen.«
»Aber er … er hat ihn getötet? Er hat seinen Vater getötet? Und sein Vater hat seine Mutter getötet?« Meine Hand legt sich auf meinen Mund, und ich taumle. Meine Schulter stößt gegen die Einfassung des Kamins. Ich bleibe stehen und lasse mich stützen.
»Er. Hat. Ihn. Nicht. Ermordet.« Devyns Gesicht wird rot. »Nick musste es tun.«
»Was meinst du mit ›er musste es tun‹?« Ich mache einen Schritt nach vorn. »Weil es immer die einzige Wahl ist, ja? Es geht nur um töten und getötet werden, was? Zur Hölle mit der Wissenschaft und der Medizin oder auch nur einfach mit dem guten alten Gefängnis und der Polizei, oder?«
»Er hatte keine Wahl«, beharrt Devyn. »Sein Vater war ein Wolf. Er war wild. Da gibt es keine Heilung. Er hätte Nick auf jeden Fall als Nächsten getötet. Für uns gelten andere Regeln, Zara.«
»Für ›Wandelwesen‹?« Ich schnaube und male mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft.
»Mensch, Zara«, schnappt Devyn. »Hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen.«
Issie richtet sich auf. »Devyn! Sag nicht Idiot zu ihr!«
»Aber sie ist einer«, meint er.
»Das ist gemein.« Issies Lippen zittern. »Du bist grausam. Wir sind doch Freunde. Wir sollten zusammenhalten.«
»Du hast recht.« Er bemüht sich sichtlich, sich zusammenzunehmen. »Tut mir leid, Zara. Ich bin einfach außer mir vor Angst und Sorge. Tut mir leid.«
Ich winke ab. »Macht nichts.«
Issie kneift einen Augenblick lang die Augen fest zu, wie sie es immer macht, wenn sie versucht, sich nicht aufzuregen, und sagt: »Wir wissen nicht genau, warum Nick sich nicht mit dem Virus angesteckt hat, aber es ist gut, dass es so ist. Und Devyn und seine Eltern haben sich auch nicht angesteckt. Und jetzt suchen Devyns Eltern in ihrem Monsterlabor nach einem Heilmittel.«
»Sie versuchen viel, Is.« Devyn kratzt sich an seinem rötlichen Hals, dort wo der Kragen seines Hemdes seine Haut berührt.
Issie kommt zu mir und legt mir die Hand auf die Schulter. »Es tut mir so leid, dass er tot ist, Zara.«
Ich wende mich mit einer raschen Bewegung ab. »Er ist nicht tot. Ich bringe ihn zurück, auch wenn er mich angelogen hat wie ein absoluter Idiot.«
Ihre Hand gleitet von meiner Schulter herab. Sie schüttelt den Kopf. »Zara …«
»Ich bin wirklich sauer, okay, Is? Wir reden immer davon, dass die Elfen Lügner sind, aber schau uns an. Nick hat gelogen – und es war eine richtig große Lüge, Devyn hat mir nichts von seinen Eltern und seinem Zuhause erzählt. Du und ich haben durch Weglassen gelogen, weil wir ihnen nicht erzählt haben, dass wir mit meinem Vater gesprochen haben.«
»Aber letztendlich haben wir es ihnen doch gesagt«, protestiert sie.
»Aber nicht direkt. Lügen durch Weglassen sind auch Lügen, und Nicks Lüge war ganz schön heftig.« Ich muss ein paarmal kräftig blinzeln und hole dann tief Luft. »Aber wir brauchen ihn zum Kämpfen, und du weißt, dass ich ihn zurückholen kann«, beharre ich. »Ich kann dorthingehen und ihn holen.«
»Vielleicht trickst dieser Elf dich aus«, sagt Devyn. Er steht auf und nimmt seine Krücken. »Das ist das wahrscheinlichste Szenarium, und das weißt du. Man kann Elfen nicht trauen. Denk nur daran, was dein Vater alles angestellt hat, um an deine Mutter
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