Finsteres Licht
dreihundert Jahren, aber er erzählte mir, dass er im Vergleich zu manchen anderen noch als junger Knabe betrachtet w u rd e . Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass irgendjemand ihn als jung bezeichn ete , war mir aber durchaus der Tatsache bewusst, dass zumindest Constantin und Antonius sehr, sehr , sehr viel älter waren. Keiner konnte mir genau sagen, wie alt. Es durfte sich allerdings um eine Zahl im dreistelligen Bereich handeln.
Wir alle saßen im Wagen und beobachteten den Junky zunächst nur von Weitem . Wären wir alle sechs sofort ausgestiegen, hätte er wahrs cheinlich die Flucht ergriffen , denn mit unseren Sonnenbrillen und blassen Teint, hätte er uns garantiert sofort erkannt. Wir wollten ihn zur Strecke bringen, also warteten wir den richtigen Zeitpunkt ab um zuzuschlagen. Wir ließen zu, dass das ahnungslose Mädchen dem Junky gefährlich nahe kam . Und dann ging alles ziemlich schnell.
Der Junky löste seinen Rücken von der Wand und starrte gierig auf sein Opfer, welches seinen nächsten Kick bedeutete.
„Na was haben wir denn da?“
Die kleine Braunhaarige hielt ihren Kopf gesenkt und hoffte wahrscheinlich , ohne größere Probleme an ihm vorbeizukommen. Sie schaute nur kurz nach links , um einen Wechsel der Straßensei te in Erwägung zu ziehen, doch da stand sie schon direkt vor ihm. Oder besser gesagt, er nutzte seine unheimliche Schnelligkeit, versperrte ihr den Weg, zog genussv oll ihren Duft durch die Nase und genoss ihre Angst und Verwirrung . Es widerte mich an, wie er beinahe sabbernd nach ihrem Blut gierte.
Amanda, Alex und ich stiegen aus. William, Jeremy und Emily warteten im Wagen. Es war Alex‘ und mein erster Nahkampf, den wir möglichst tödlich beenden sollten. Amanda kam sozusagen als Koordinatorin mit, aber Alex und ich sollten ihn alleine erledigen.
„Du schaffst das“, flüsterte mir William ins Ohr bevor ich einen Fuß auf die Straße setzte.
Ich fühlte sein Vertrauen in mich. Zwar beruhigte es mich nicht, schenkte mir aber die notwendige Kraft.
„N ur nicht so schüchtern Kleine.“
Hungriges Knurren und anziehende Verlockung verzerrten die Stimme des Junkys .
Ich löste mich vorsichtig von meiner psychischen Schutzmauer und versuchte die Gefühle des Menschenmädchens zu ertasten. Sie hatte wahnsinnige Angst. Logischerweise. Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Dann verschloss ich mich ihren Gefühlen gegenüber und schnupperte an denen des Junkys . Er sehnte sich nach ihrem Blut. Es schmerzte ihn gewaltig, dass es noch nicht in seine Kehle floss. Er hungerte und gierte so sehr danach, dass es ih n schier umbrachte. Er tat mir fast schon leid. Aber eben nur fast. Während wir auf ihn zugingen, verschloss ich mich seinen Gefühlen und zog wieder die schützende Mauer um mich herum hoch .
„Hey, lass sie in Ruhe!“
Alex war aufgeregt, strahlte aber reine Selbstsicherheit aus.
„Verschwindet!“
Der Has s in den Augen des Junkys sprach Bände.
Er hatte Angst seine Beute zu verlieren. Angst seinen nächsten Kick nicht zu ergattern. Angst, dass wir ihn von seinem speziellen Moment der Freude, für den er ausschließlich noch existierte, abhalten würden. Und da lag er auch nicht so falsch. Denn genau das hatten wir vor. Und obendr ein würde er es, wenn er dann tot wäre , sowieso nicht mehr bedauern können.
„Keine Lust. Wir wollen mitspielen.“
Amanda blieb hinter Alex und mir und ich überließ Alex die Konversation. Er machte das ja auch ziemlich gut.
Das Mädchen drehte sich zu uns herum und erstarrte vor Angst. Sie konnte ja auch nicht wissen, dass wir ihre einzige Rettung waren. Ich erinnerte mich noch genau an die Szene in der dunklen Gasse in der Nähe des Silvers. Nachdem Alex mir erzählte wer, oder besser gesagt, was William tatsächlich war, rannte ich nach draußen um ihn zu suchen. Als ich Williams und Jeremys glühende Augen sah, als ich erkannte was sie wirklich waren, als ich um mein Leben fürchtete, dachte ich mein letztes Stündchen hätte geschlagen. Genauso fühlte sich dieses kleine, zierliche braunhaarige Mädchen jetzt. Sie schaute dem Junky in seine schwarzen Augen. Sie glühten nicht rot, da das Mondlicht nicht direkt auf ihn fiel, aber seine magere und blasse Haut, sein hecheln, die Gier in seinen Augen, all das entlarvte ihn sehr wohl, nur dass sie nicht wissen konnte, was er wirklich war. Hätte sie es gewusst, wäre sie wahrscheinlich nicht mehr stumm und wie angewurzelt vor ihm gestanden. Sie wäre
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