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Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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Ich sah zu, wie sie das Maul aufriss und mich anbrüllte. »Du hast keinen Geruch, du bist nicht wirklich, nur ein böser Traum, und Träume haben keine Macht, außer der Träumende gibt sie ihnen. Ich gebe dir gar nichts. Scher dich zurück in die Dunkelheit, aus der du gekommen bist.«
    Plötzlich sah ich einen dunklen Raum vor mir. Es war nicht stockfinster darin, sondern irgendwoher wurde ein bisschen Licht reflektiert. Dort stand ein Bett mit einer schwarzen Seidendecke, und darunter lag jemand. Der Raum hatte eine sonderbare Form, war nicht rechteckig, nicht rund, sondern sechseckig. Er hatte Fenster, aber ich ahnte, dass sie nicht auf die Welt hinab, sondern auf die Finsternis blickten, die immer gleich blieb.
    Ich wurde zu dem Bett hingezogen, wie es in Albträumen üblich ist. Ich wollte nicht, aber ich musste hinsehen.
    Ich streckte die Hand nach der schimmernden schwarzen Seide aus. Dass es Seide war, sah ich daran, wie sie das Licht einfing, das von tief unten vor dem Fenster heraufschien. Das Licht flackerte, und da wusste ich, es war Feuerschein. Nichts Elektrisches war je an diesen finsteren Ort vorgedrungen.
    Meine Fingerspitzen streiften die Seide, und der Schläfer darunter regte sich wie im Traum. Im selben Moment wurde mir klar, dass ich für sie eine Traumgestalt war und nicht wirklich in ihrem Zimmer stand, dass ich, so wirklich es mir erscheinen mochte, nicht zu ihr gehen und die Decke wegziehen könnte. Traumgestalten konnten so etwas nicht tun. Gleichzeitig begriff ich aber auch, dass sie alles im Schlaf getan hatte, und ihr Schlaf so lange dauerte, dass die anderen manchmal glaubten, sie sei tot, hofften, fürchteten, sogar beteten, sie sei tot, wenn sie den Mut zu beten noch hatten. Zu wem beteten die Seelenlosen?
    Ein Seufzer kam durch den stickigen, luftlosen Raum, und mit diesem ersten Atemzug hörte ich ein Flüstern, das erste Geräusch, das seit Jahrhunderten in diesem Raum gehört worden war, und es sagte: »Zu mir.«
    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass das die Antwort auf meine Frage war. Zu wem beten die Seelenlosen? – Zu mir.
    Die Gestalt unter der Decke regte sich wieder im Schlaf. Sie war nicht wach, noch nicht, aber sie kam allmählich zu sich, kam dem Wachzustand näher.
    Ich riss die Hand von der Bettdecke zurück, machte einen Schritt rückwärts. Ich wollte sie nicht berühren. Und vor allem wollte ich sie nicht wecken. Aber da ich nicht wusste, wie ich in diesen Raum gelangt war, konnte ich mir auch nicht denken, wie ich ihn wieder verlassen könnte. Ich war noch nie im Traum eines anderen gewesen, obwohl sich schon einige beschwert hatten, sie hätten von mir Albträume bekommen. Wie löste man sich aus einem fremden Traum?
    Das Flüstern hallte durch den Raum. »Indem man den Träumenden weckt.«
    Wieder hatte sie auf meine Frage geantwortet. Scheiße. Mir schwante etwas Schreckliches. Konnte sich die Dunkelheit im Schlaf verirren? Konnte sich die Dunkelheit im Dunkeln verirren? Konnte die Mutter aller Albträume sich im Traumland verirren?
    »Nicht verirren«, flüsterte es.
    »Was dann?«, fragte ich laut, und die Gestalt unter der Decke drehte sich herum und füllte die Stille mit dem Rascheln der gleitenden Seide. Ich schluckte und verfluchte mich, weil ich unüberlegt gehandelt hatte.
    »Warten«, hörte ich den Lufthauch um mich herum. Es war eigentlich keine richtige Stimme.
    Ich dachte sehr angestrengt: Worauf?
    Es kam keine Antwort aus der Dunkelheit. Stattdessen aber ein neues Geräusch. Jemand neben mir atmete, tief und gleichmäßig, als schliefe er. Obwohl ich geschworen hätte, dass die Gestalt in dem Bett eben noch nicht geatmet hatte.
    Ich wollte nicht dabei sein, wenn sie sich aufsetzte, auf keinen Fall wollte ich dann noch hier sein. Worauf hatte sie die ganze Zeit gewartet?
    Diesmal kam die Stimme vom Bett, und sie war schwach, heiser, wie lange nicht benutzt, und so leise, dass nicht zu unterscheiden war, ob es eine männliche oder weibliche war. »Auf etwas Interessantes.«
    Bei dieser Antwort spürte ich schließlich etwas von der Gestalt. Ich war auf Gemeinheit, Bosheit, Zorn gefasst gewesen, aber überhaupt nicht auf Neugier. Sie schien sich zu fragen, was ich war, und sie hatte sich seit einem Jahrtausend oder länger nichts mehr gefragt.
    Ich roch Wolf, penetranten Wolfsgeruch, der so echt war, dass ich ihn über meine Haut gleiten fühlte. Plötzlich hatte ich ein Kreuz um den Hals, und das weiße Leuchten füllte den Raum. Ich

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