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Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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glaube, ich hätte die Gestalt in dem Bett klar erkennen können, aber vielleicht schloss ich unbewusst die Augen; bei manchen Dingen sollte man einfach nicht hinsehen, nicht mal im Traum.
    Als ich zu mir kam, saß ich im Jeep und blickte in die besorgten Gesichter von Nathaniel und Caleb. Auf dem Fahrersitz saß ein riesiger Wolf und beschnupperte mich. Ich streichelte das weiche, dicke Fell, dann sah ich den glänzenden Schleim. Jason hatte sich auf meinem Ledersitz verwandelt.
    »Himmel, Arsch und Zwirn! Konntest du dafür nicht auf die Ladefläche gehen? Musstest du das unbedingt auf den Ledersitzen tun? Das kriege ich nie wieder sauber.«
    Jason knurrte mich an, und man musste nicht Wolf sprechen können, um zu verstehen, was er sagte. Ich war ein undankbares Miststück. Doch es war viel einfacher, sich über die Polster aufzuregen, als sich der Tatsache zu stellen, dass ich bei der Mutter aller Vampire, der Mutter aller Finsternis, der fleischgewordenen Urhölle gewesen war. Aus Jean-Claudes Gedächtnis wusste ich, dass die Vampire sie Mutter Sanft nannten und ihr noch ein Dutzend andere schöne Namen gaben, um sie freundlich, gütig, mütterlich erscheinen zu lassen. Doch ich hatte ihre Macht, ihre Finsternis gespürt, und am Ende einen Intellekt so kalt und leer wie das Böse schlechthin. Sie war neugierig auf mich wie ein Wissenschaftler auf ein neu entdecktes Insekt. Finde es, fang es ein, setz es in ein Schraubglas, ob es will oder nicht. Schließlich ist es nur ein Insekt.
    Sollten sie sie Mutter Sanft nennen. Ich fand Mami Allerliebst viel treffender.

30
    C aleb war auf die Ladefläche geklettert, um die Plastikfolie zu holen, die ich immer dabeihatte, wenn ich mal etwas Schmutzigeres als Hühner zu transportieren hatte, und breitete sie auf dem Sitz aus, damit Nathaniel fahren konnte. Ich hatte selbst fahren wollen, aber Jason hatte mich nur angeknurrt. Er hatte recht. Ich war nicht die Stabilste. Nathaniel, dessen Augen wieder lila waren, hielt mir entgegen: »Du warst bewusstlos. Du hast nicht mehr geatmet. Jason hat dich geschüttelt, und du hast gejapst.« Er schüttelte ernst den Kopf. »Wir mussten dich in einem fort schütteln, Anita, und du hast immer wieder aufgehört zu atmen.«
    Wären sie Menschen, hätten ich widersprechen können, dass sie sich getäuscht hätten, aber wenn gleich mehrere Lykanthropen sagten, ich hätte nicht geatmet, musste ich das glauben.
    Hatte Mami Allerliebst mich töten wollen? Oder war das unabsichtlich oder zufällig passiert? Es war vielleicht nicht ihre Absicht gewesen, aber sie könnte es versehentlich getan haben. Und ich hatte genug von ihr mitgekriegt, um zu wissen, dass es sie nicht kümmerte. Es würde ihr nicht leid tun, sie hätte keine Schuldgefühle. Sie dachte nicht wie ein Mensch oder zumindest dachte sie nicht wie ein netter, normaler, zivilisierter Mensch. Sie dachte wie ein Soziopath – kein Mitgefühl, keine Sympathie, kein Schuldgefühl. In gewisser Hinsicht muss das eine sehr friedvolle Existenz sein. Konnte man mit so wenig Emotionen einsam sein? Vielleicht, aber beurteilen konnte ich das nicht. Das Wort einsam wäre mir bei ihr nicht in den Sinn gekommen. Wenn man das Bedürfnis nach Freundschaft oder Liebe nicht verstand, konnte man dann einsam sein? Ich zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
    »Was ist?«, fragte Nathaniel.
    »Wenn man Liebe oder Freundschaft nicht empfinden kann, kann man dann Einsamkeit empfinden?«
    Er sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Weiß ich nicht. Warum fragst du?«
    »Wir sind gerade der Mutter aller Vampire begegnet, aber sie ist mehr wie die Mutter aller Soziopathen. Menschen sind selten Soziopathen in Reinform. Meistens fehlt ihnen nur das eine oder andere. Aber Mami Allerliebst ist einer, finde ich.«
    »Es spielt keine Rolle, ob sie einsam ist«, sagte Caleb.
    Ich drehte den Kopf zu ihm. Seine braunen Augen waren sehr groß, und er sah blass aus trotz seiner Sonnenbräune. Unwillkürlich schnupperte ich. Im Wagen roch es nach allem Möglichen, aber hauptsächlich nach Wolf, Vanille und Caleb. Caleb roch … jung. Es wunderte mich, aber ich glaubte zu riechen, wie zart sein Fleisch war, wie frisch sein Blut. Er roch sauber, nach einer mild parfümierten Seife, aber darunter lag ein anderer Geruch, der bitter und zugleich süß war, so wie Blut salzig und zugleich süß schmeckt.
    Ich drehte mich so weit wie möglich zu ihm herum und sagte: »Du riechst gut, Caleb, ganz zart und verängstigt.«
    Er

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