Finsteres Verlangen
nichts.
»Wer war die Kleine vorhin am Telefon? Wir haben eine Wette laufen. Einige glauben, es war Ihre Freundin Ronnie Sims. Ich persönlich glaube das nicht; die ist noch immer scharf auf diesen Professortypen von der Wash U. Ich tippe auf die blonde Werleopardin, die immer bei Ihnen zu Hause ist. Also, wer hat recht?«
Ich sah ihn lediglich groß an.
Darauf kam er stirnrunzelnd herein. »Anita, ist alles in Ordnung?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nichts ist in Ordnung.«
Er wirkte sehr besorgt und kam näher. Fast nahm er meinen Arm, bremste sich aber. »Was ist los?«
Ich stützte mich weiter auf das Waschbecken, zeigte aber mit dem Daumen über die Schulter, ohne den Kopf dahin zu drehen. Ich wollte nicht hinsehen.
Er schaute kurz, wohin ich zeigte. »Was ist damit?«
Ich sah ihn nur an.
Er zuckte die Achseln. »Ja, es ist übel. Aber Sie sehen so was nicht zum ersten Mal.«
Ich senkte den Kopf und starrte den goldenen Wasserhahn an. »Ich hatte mir einen Monat freigenommen, Zerbrowski. Dachte, ich brauche mal Urlaub, und so war es auch, aber vielleicht war ein Monat nicht lang genug.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Ich sah in den Spiegel. Mein Gesicht war totenbleich, meine Augen stachen hervor wie schwarze Löcher, und die Lidstrichreste ließen sie größer wirken, noch verlorener, als ich mich fühlte. Ich wusste nicht, ob ich diese Arbeit noch weiter machen wollte. Das hatte ich mit der Bemerkung sagen wollen, aber heraus kam eine andere Antwort. »Ich dachte, das Schlafzimmer vom letzten Mal war schlimm, aber das hier ist schlimmer.«
Er nickte.
Ich setzte zu einem tiefen Atemzug an, erinnerte mich aber noch rechtzeitig an den Geruch und begnügte mich mit flachem Atmen. Das war nicht annähernd so beruhigend, aber magenfreundlich. »Ich werde klarkommen.«
Er widersprach mir nicht, weil er mich meistens nach dem Männerkodex behandelte. Wenn ein Mann sagt, er wird klarkommen, nimmt man ihn beim Wort, selbst wenn man es nicht glaubt. Eine Ausnahme macht man nur, wenn Leben auf dem Spiel stehen; dann darf gegen den Kodex verstoßen werden, aber der Mann, dessentwegen man es tut, wird einem das vermutlich nie verzeihen.
Ich richtete mich auf, ließ aber die Waschtischkante keineswegs los. Ein paar Mal sah ich in den Spiegel, dann ging ich in den Raum zurück. Ich würde das hinkriegen. Ich musste das hinkriegen. Ich musste mir ansehen, was da war, und logisch darüber nachdenken. Es war eine schreckliche Sache, die ich mir abverlangte. Das hatte ich endlich begriffen. Begriffen, dass es die Seele zerstören konnte, solche Dinge wie im angrenzenden Bad zu betrachten. Das hatte ich begriffen und konnte dennoch weitermachen.
Ich war wieder an der Badezimmertür. Zerbrowski war mitgekommen, blieb dicht hinter mir. Es war zu eng, um gemeinsam in der Tür zu stehen, unbequem.
Ich schaute in den Raum, auf die blutbesudelten Wände. »Wie viele Leute sind hier umgebracht worden?«
»Warum?«
»Lassen Sie das, Zerbrowski. Ich habe heute nicht die Geduld dafür.«
»Warum?«, fragte er noch einmal und klang diesmal defensiv.
Ich drehte den Kopf zu ihm. »Was für ein Problem haben Sie?«
Er zeigte nicht auf das Blutbad. Ein, zwei Sekunden lang dachte ich sogar, er werde mir sagen, das gehe mich nichts an, aber das tat er nicht. »Wenn Dolph das fragt, antworten Sie einfach und streiten nicht mit ihm.«
Ich seufzte. »Seine Fußstapfen sind schwer auszufüllen, hm?«
»Nein, aber ich habe nicht die geringste Lust, mich zu wiederholen, wenn ich weiß, dass Dolph bei keinem etwas zweimal sagen muss.«
Ich sah zu ihm auf und merkte, wie mir ein Lächeln ins Gesicht kroch. »Tja, bei mir eigentlich schon.«
Er schmunzelte. »Na gut, na gut, vielleicht bei Ihnen, aber Sie sind ja auch die Obernervensäge.«
»Das ist eine Begabung«, sagte ich.
Wir standen in der Tür und grinsten uns an. Nichts hatte sich geändert in dem kleinen Horrorkabinett. Es war nicht ein Tropfen weniger Blut oder ein Gewebefetzen weniger an der Wand. Trotzdem ging es uns beiden besser.
»Also?«, fragte ich lächelnd. »Wie viele wurden im Bad getötet?«
Sein Grinsen wurde breiter. »Warum fragen Sie das?«
»Elender Bastard.«
Er hob die Augenbrauen. »Meine Mutter streitet es ab, aber Sie sind nicht die Erste, die darüber spekuliert.«
Ich lachte, wusste aber, dass ich verloren hatte. »Weil hier zwei ganze Wände so voller Blut und Gewebefetzen sind, dass es aussieht, als wären hier zwei getötet
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