Finsteres Verlangen
einem schlimmen Tatort gerechnet, weil der vorige schon schlimm gewesen war. Aber das hier hatte ich nicht erwartet. Entweder war der Täter für den zweiten Mord ins Bad gegangen oder wir hatten es mit einem anderen Täter zu tun. Der Geruch von Hackfleisch stieg mir in die Nase, sowie ich das Haus betrat. Zerbrowski hatte mir Plastiküberzieher für meine Nikes und die Schachtel mit den Handschuhen gegeben und gemurmelt, der Boden sähe übel aus. Bisher hatte ich Zerbrowski nicht für einen Meister der Untertreibung gehalten.
Der Raum war rot. Als hätte jemand die Wände überstrichen, nur nicht besonders gleichmäßig. Sie waren nicht einfach nur rot, sondern purpurrot, hellrot, rubinrot und rotbraun, wo es bereits getrocknet war, mitunter so dunkel wie Granat. Ich versuchte, gelassen und sachlich zu bleiben und die vielen Rottöne zu betrachten, bis ich etwas Langes, Dünnes, Fleischiges sah, das an der Wand klebte, wie etwas, das der Metzger zum Abfall wirft.
Plötzlich fand ich es heiß im Raum, und ich musste von der Wand wegsehen, aber der Boden war noch schlimmer. Der Boden war gefliest und konnte Flüssiges nicht aufsaugen. Er schwamm vor Blut, überall standen große glänzende Pfützen. Zugegeben, das Bad war nicht groß, trotzdem war es ziemlich viel Blut auf einmal.
Ich hielt mich am Türrahmen fest und befand mich mit den Füßen in den Überziehern noch in dem relativ sauberen Bereich, wo der Hocker stand, einem kleinen Raum mit Frisiertisch und Doppelwaschbecken. Dahinter befand sich das große Schlafzimmer, aber das Bett war ordentlich gemacht und unberührt.
Der Boden hatte eine schmale Fliesenkante, die verhindern sollte, dass Wasser in die angrenzenden Räume lief. Sie hielt das Blut im Bad. Ich war dankbar für diese Kante.
Ich sah wieder auf die Wände. In der hinteren Ecke war eine Dusche, groß genug für drei Personen. Die Glastüren waren blutbespritzt, und es war zu einer hübschen roten Glasur erstarrt. Aber die Duschkabine war nicht so voller Blut wie die Wände. Warum, war mir noch nicht klar.
Den übrigen Platz nahm eine Badewanne ein. Sie war nicht so groß wie Jean-Claudes, eher ungefähr wie meine. Ich mochte meine Wanne, aber es würde noch Tage dauern, bis ich wieder imstande wäre, sie zu benutzen. Die Erinnerung an den Tatort würde kein Wohlgefühl aufkommen lassen.
Die Wanne war mit blutigem Wasser gefüllt. Es hatte den Pinkton, den dunkelrote Rosen annehmen, wenn man sie lange in der Sonne liegen lässt, und es stand bis zum Rand, wie großzügig eingeschenkter Punsch. Schlechter Gedanke. Ganz schlechter Gedanke.
In dieser Umgebung an Essen oder Trinken zu denken war im Augenblick wirklich schlecht. Ich musste weggucken, in die Nebenzimmer starren, wo ein Stück vom Bett zu sehen war, und zu dem hinteren großen Raum, wo es von Polizisten wimmelte. Keiner hatte sich bereit erklärt, mir bei meiner Besichtigung Gesellschaft zu leisten. Ich machte ihnen keinen Vorwurf, aber ich fühlte mich auf einmal isoliert. Sie waren nur drei kleine Räume entfernt, aber es kam mir vor wie tausend Meilen, so als würde mich niemand hören, wenn ich schrie.
Ich griff an den gegenüberliegenden Türrahmen, um mich zu dem Waschtisch zu hangeln, und lehnte mich gegen die kühlen Kacheln. Ich ließ mir kaltes Wasser über die Hand laufen. Als es mir kalt genug erschien, klatschte ich es mir ins Gesicht. Es gab kein Handtuch. War wahrscheinlich in einer Plastiktüte gelandet und ins Labor gebracht worden, damit es auf Haare, fremde Fasern und dergleichen untersucht wurde. Ich zog mir das T-Shirt aus der Jeans und trocknete mich damit ab, was ein paar dunkle Flecken hinterließ, die Reste meines Make-ups vom vergangenen Abend. Ich blickte in den breiten Spiegel, der das helle Licht der Deckenlampen reflektierte. Wimperntusche und Lidstrich waren verschmiert. Die sind doch nie so ganz wasserfest. Auf jeden Fall nicht wischfest. Mit dem T-Shirtsaum betupfte ich das Verschmierte und bekam das Meiste weg. Jetzt war das T-Shirt noch fleckiger, aber das fand ich nicht wichtig.
Zerbrowski kam in die Tür und sah mich an. »Geht’s?«
Ich nickte, weil ich meiner Stimme nicht traute.
Er grinste plötzlich, und wäre es mir besser gegangen, ich hätte mich vor der nächsten Bemerkung gefürchtet. Aber es schien mir nicht wichtig. Nichts war wichtig. Weil ich sowieso nicht imstande war, in das Bad zurückzukehren. Also war nichts von Bedeutung. Ich war leer und ruhig und sonst war
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