Finsterherz
gehört haben, wie Mathias ihren Namen ausgesprochen hatte, doch er hatte ihn vorher noch nie benutzt.
»Keine Spielchen, Katta«, wiederholte er.
Dann trat er auf den Flur und schloss die Tür hinter sich.
»Was hat er damit gemeint?«, fragte Mathias schläfrig vom Bett her. Königs Worte waren mit Verzögerung und undeutlich an sein Ohr gedrungen, so als kämen sie von weit her.
»Nichts«, antwortete sie. »Schlaf jetzt. Ich bleibe wach.«
Sie beobachtete Mathias; er schloss die Augen.
Jetzt gab es nur noch sie und den Jungen.
Unten in den Ställen, wo alles still gewesen war, scharrten die Pferde unruhig mit den Hufen, als etwas ihre Ruhe störte. Es war eine kleine, gedrungene Gestalt, die über den Hof huschte, von einem Schatten zum nächsten. Das große Pferd hob den Kopf, spitzte die Ohren und schnaubte.
»Warum legst du dich nicht schlafen?«, fragte Katta.
Stefan saß auf einem Stuhl beim Feuer; er hatte ihn so gedreht, dass er die Tür im Blick hatte. Die Pistole lag in seinem Schoß. Er sah ein wenig überrascht zu Katta auf. Es war das erste Mal, dass sie das Wort an ihn gerichtet hatte. Sie drückte die Handflächen aufeinander und legte sie wie ein Kissen an die Wange.
»Schlafen«, sagte sie und zeigte auf ihn. »Du schläfst jetzt. Ich wache.«
»Ich wachen«, entgegnete Stefan.
»Nicht mehr lang«, murmelte Katta. Laut sagte sie: »Dann schlafe ich jetzt.« Sie zeigte auf ihre Brust. »Ich.«
Stefan nickte und Katta legte sich aufs Bett. Sie schloss die Augen, doch sie blieb wach. Sie lag da und lauschte dem Summen der Biene in ihrem Kopf.
König saß an einem Tisch beim Feuer. Er hatte einen Platz bei zwei Herren und ihrer weiblichen Begleitung gefunden. Die Damen hatten das Haar nach der neuesten Mode hochgesteckt. Sie waren alle in derselben Kutsche gekommen. König lauschte ihrem nichtssagenden Geplauder, ließ dabei jedoch die ganze Zeit den Blick durch den Raum wandern, beobachtete, wer hereinkam und wer hinausging. Als eine der Mägde mit einem leeren Tablett an ihm vorbeikam, hielt er sie an.
»Ich erwarte hier einen Freund«, sagte er. »Er ist klein und zu Fuß unterwegs, hat also kein Pferd zum Unterstellen. Ist er schon angekommen?«
Das Mädchen würde es wissen. Er hatte jene Magd angesprochen, die ihm schon bei seiner Ankunft aufgefallen war. Sie hätte mit Sicherheit bemerkt, wenn jemand nach ihnen angekommen wäre.
Sie blickte sich um. »Der da?«, fragte sie.
Sie zeigte auf einen kleinen, dicken Mann, der auf der anderen Seite des Saals Pfeife rauchte und neben einer kleinen, dicken Frau saß.
»Nein«, antwortete König.
»Sonst hab ich keinen gesehen«, sagte sie.
Eine der Damen legte die Hand auf seinen Arm. »Spielt Ihr Karten?«
»Nie um Geld«, erwiderte König.
Sie lächelte ihn an. »Vielleicht können wir dann ein Spiel machen?« Sie klopfte mit ihrem Fächer auf den Tisch. »Wir spielen alle Karten!«, rief sie. »Unser neuer Freund kann ausgeben.« Wieder legte sie die Hand auf seinen Arm. »Ich bin sicher, Ihr spielt fair.«
Oben im Zimmer beobachtete Katta Stefan. Er hatte es sich auf dem Stuhl bequem gemacht und die Wärme ließ ihn bereits schläfrig werden. Es war ein langer, kalter Tag gewesen und sie waren weit marschiert. Ab und zu sank sein Kopf auf die Brust, doch er schreckte jedes Mal wieder hoch und blinzelte, um wach zu bleiben. Nach einer Weile hatte ihn die Wärme erneut eingelullt und die Augen fielen ihm zu. Katta sagte nichts. Aber sie beobachtete ihn wie ein Falke, atmete ganz flach, machte kein Geräusch, rührte keinen Muskel. Endlich blieb sein Kopf auf der Brust ruhen und er war eingeschlafen. Sosehr er sich auch bemüht hatte und obwohl König ihn ausdrücklich als Wache eingeteilt hatte, war Stefan eingeschlafen.
Ganz langsam und ohne ihn aus den Augen zu lassen, setzte Katta sich im Bett auf. Sie schaute Mathias an. Er hatte die Augen geschlossen und atmete tief und gleichmäßig. Vorsichtig steckte sie die Hand in die Schürzentasche und zog das Messer heraus. Hart und schwer lag es in ihrer Hand. Die Klinge war eingeklappt. Vorsichtig öffnete sie das Messer. Die Klinge war scharf; sie spürte die Kälte des Griffes. Der Schein des Kaminfeuers spiegelte sich darin. Es war genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte: Der Junge schlafend, nicht wissend, was gleich mit ihm passieren würde, das Messer in ihrer Hand. Aber es war ganz und gar nicht dasselbe.
Es war die Wirklichkeit.
Alles, was sie in ihrer Fantasie
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