Finsterherz
Rock und streckte den Leuten ihren nackten Hintern hi n – darauf johlten sie.
Aber einen Zauberer gab es nicht. Katta war das egal; in diesen Augenblicken hatte sie die Welt um sich herum vergessen. Sie stand da und schrie und jubelte mit den anderen. Erst als sie sich erhitzt und mit einem Lächeln umdrehte und sah, dass Stefan, auf dessen Stirn die hässliche Narbe prangte, mit abweisender Miene zu ihr herüberblickte, fiel ihr alles Erlebte wieder ein. Rasch wandte sie sich Mathias z u – und hielt abrupt inne. Er stand starr neben ihr und starrte zur Bühne. Seine Miene war ausdruckslos und er hatte Tränen in den Augen. Er roch die Fettschminke. Sie erinnerte ihn an den Strick um sein Handgelenk, an seinen Großvater, sabbernd und betrunken. An Anna-Maria und Lutsmann. An die Ohrfeigen und Prügel, an das ganze Elend, das er erduldet hatte. Katta konnte das alles nicht wissen, aber sie legte ihre Hand in seine, und auch wenn er sie nicht direkt ansah, nahm er doch ihre Hand und hielt sie ganz fest. Die Vorstellung konnte sie jetzt allerdings nicht mehr so unbeschwert genießen wie am Anfang. Der Spaß war ihr verdorben.
Schließlich fiel der Vorhang und die Menge zerstreute sich, doch König blieb. Er lehnte an der Wand und blickte den Leuten nach, bis alle weg waren. Dann wurde der Vorhang wieder hochgezogen und die Bühne aufgeräumt. Ein alter Mann fegte im Zuschauerraum den Boden. Ein kleines Hündchen sprang um ihn herum und schnappte sich alles Essbare aus den Resten, die die Zuschauer hatten fallen lassen.
Der Alte arbeitete schon eine ganze Weile, bevor er sie bemerkte. »Ihr müsst jetzt gehen«, sagte er. »Es gibt nichts mehr zu sehen.«
König rührte sich nicht. Er schaute zur Decke hinauf und zu den leeren Logen. »Es ist lange her, seit ich zum letzten Mal hier war«, sagte er. »Es hat sich nicht viel verändert.«
Er hatte den alten Mann genau richtig eingeschätzt. Bot man ihm auch nur den kleinsten Anlass, war er sofort bereit, seinen Besen wegzulegen und zu erzählen.
»Wann war das?«
König machte ein nachdenkliches Gesicht, so als versuchte er sich zu erinnern. »Vor zehn, zwölf Jahren war ich oft hier. Ihr wart auch d a – ich erinnere mich an Euch.«
»Ich stand damals ganz vorne«, sagte der alte Mann wehmütig.
König klatschte in die Hände, als hätte er nach sehr langer Zeit endlich ein bekanntes Gesicht gesehen. »Dachte ich es mir doch!«, rief er.
Katta starrte ihn an. Das war ganz schön dreist. Fast hätte sie selbst geglaubt, dass König schon einmal in diesem Theater gewesen war. Der alte Mann schien genau dies anzunehmen.
»Die Zeiten ändern sich«, meinte König.
Der Alte schüttelte traurig den Kopf. »Da habt Ihr Recht.«
»Wer war damals gleich noch alles dabei?«, fragte König und sah ganz so aus, als versuchte er angestrengt, sich zu erinnern.
»Der große Landee«, sagte der Mann.
»Wer war das noch ma l …?«
»Der Feuerschlucker.«
»Genau!« König klatschte erneut in die Hände. »Ich erinnere mich. Und wer noch?«
»Lady Juniper.«
»Lady Juniper.« König seufzte und legte eine Hand auf sein Herz. »Das war noch was anderes als heute, was?«
»Etwas ganz anderes«, sagte der Mann. »Jetzt ist die Vorstellung doch nichts mehr. Habt Ihr die Frau gesehen?«
König schüttelte nur den Kopf. »Wer war der Zauberer noch mal?«, fragte er dann. »Er hatte ein großes Mal im Gesicht. Sein Name war Hustav oder Gustav.«
Mathias hatte alles beobachtet und auf das Stichwort gewartet. Jetzt spürte er, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Regungslos stand er da. Aber der alte Mann schien verwirrt. Er klopfte mit seinem Besen auf den Boden.
»Nein«, sagte er schließlich. »Der mit dem Mal im Gesicht war Meiserlann. Aber den könnt Ihr nicht hier gesehen haben. Der war im Arrow . Ihr müsst ihn dort gesehen haben. Hier ist er nicht aufgetreten. Zu gut für uns, selbst damals schon.«
»Ist er noch dort?«, fragte König.
»Meiserlann?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist einfach auf und davon. Hat den alten Jakob hiergelassen und ist fort.«
Mathias spürte, dass Katta ihn ansah, aber er drehte sich nicht zu ihr um. Stattdessen blickte er gebannt den Mann an und wartete, was als Nächstes kommen würde.
»Jakob?«, fragte König.
»Sein Garderobier. Ihr wisst scho n – für die Bühnenkleidung. Den gibt’s noch. Er geht zum Trinken in den Bären . Dort hab ich ihn schon gesehen. Aber er is t …« Der Mann tippte sich mit
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