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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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konnte.
    »Ich will wissen, warum dieser Zettel so viel wert ist, Jakob.«
    »Er ist gar nichts wert, Lügenbold«, sagte der alte Mann. Dann lächelte er ein schiefes, gerissenes Lächeln. »Es sei denn, du weißt, wo die andere Hälfte ist.«
    »Wie viel wäre er dann wert?«
    Jakob zuckte die Schultern. »Vielleicht gerade wertvoll genug, um dein Leben zu retten«, antwortete er. Er veränderte seinen Griff um die Pistole. »Meiserlann hat gesagt, er würde zurückkommen. Ich hab ihm geglaubt. Meine Angst, ihn zu verlieren, war größer als die, meine Daumen zu verlieren. Deshalb hab ich nichts gesagt. Jetzt erzählst du mir, dass er tot ist. Woher willst du das wissen, Lügenbold?«
    »Ich habe den Jungen gefunden.«
    »Dann soll er es mir selber sagen«, verlangte Jakob. »Weil ich dir nicht glaube.«
    König steckte das Blatt wieder in seine Brieftasche. »Wohin soll ich ihn bringen?«, fragte er.
    »Hierher«, antwortete Jakob. »Bring ihn hierher. Dann werden wir sehen.«
    Anna-Maria und Lutsmann saßen da und starrten Mathias an. Es war zu schön, um wahr zu sein: als hätten sie in einem Straßengraben eine Uhr aus massivem Gold gefunden. Anna-Maria hatte vorsorglich seine Handgelenke mit einer dünnen Schnur gefesselt, die ihm in die Haut schnitt. Das Schnurende hatte sie an einen Haken an der Decke gebunden, so hoch oben, dass Mathias auf gar keinen Fall heranreichen konnte. Aber die Mühe hätte sie sich sparen können. Mathias fehlte zu allem die Kraft. Er lag zusammengekrümmt auf dem Boden.
    »So«, sagte Maria, »da bist du also nach allem, was wir für dich getan haben, einfach davongelaufen. Du undankbarer Halunke!« Sie versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf.
    »Lass den Jungen reden, mein Täubchen«, sagte Lutsmann voll falschen Mitleids; sein Atem roch nach Brandy. »Ist er nicht von ganz allein zu uns zurückgekommen? Er wollte uns sicher dringend etwas mitteilen.«
    »Ich will nur eines von ihm wissen«, zischte Anna-Maria und näherte ihr Gesicht Mathia s – sie trat so nahe an ihn heran, dass er den parfümierten Puder roch und den Pfefferminzatem, »und zwar, was Häller von ihm wollte.«
    Mathias schloss die Augen; sein Kopf sank auf die Brust. »Ich weiß es nicht«, flüsterte er.
    »Das glaub ich dir nicht«, sagte Anna-Maria leise in einem Ton, der seidenweich und drohend zugleich war. »Ich glaube nicht, dass du die Wahrheit sagst.«
    »Es ist die Wahrheit«, flüsterte Mathias. Aber er konnte sie dabei nicht anschauen.
    »Weißt du, was ich mit dreckigen, verlogenen kleinen Jungs mache, die mir nicht die Wahrheit sagen? Das mache ich mit ihnen.«
    Sie legte den Handballen auf Mathias Brust und drückte darauf. Der Schmerz war unerträglich. Mathias stieß einen langen, krächzenden Schrei aus. Anna-Maria lehnte sich zurück und beobachtete ihn.
    Lutsmann wurde bleich. »Die L… L… Leute werden ihn hören«, sagte er.
    »Lass sie«, entgegnete Anna-Maria.
    »Abe r …«
    »Geh raus, wenn du es nicht mit ansehen kannst«, fauchte sie. »Falls jemand kommt, sagst du, wir haben den Bader hier, der dem Jungen einen faulen Zahn zieht.« Sie blickte wieder auf Mathias hinunter. »Ich glaube nicht, dass wir sehr lange brauchen.«
    Lutsmann stand auf der dunklen Gasse, hatte den Mantel fest um sich gewickelt und die Finger in die Ohren gesteckt. Hin und wieder löste er den Druck ein klein wenig, um zu hören, ob es schon vorbei war, doch dann ertönte ein lang gezogener Schrei und er steckte die Finger schnell wieder hinein. Doch sonst hörte die Schreie niemand. Und niemand kam. Und während er so dastand, begannen über den Dächern der Stadt in riesigen funkelnden Kugeln Feuerwerkskörper zu explodieren. Mit den Fingern in den Ohren wandte er sein feistes Gesicht dem Himmel zu und betrachtete sie.
    Schließlich kam Anna-Maria heraus. Sie kam die Stufen herunter und gesellte sich, in den warmen Mantel mit dem hohen Pelzkragen gehüllt, zu ihm. Behaglich hakte sie sich bei ihm unter und lächelte ihn an: So standen sie nebeneinander und bestaunten zusammen das Feuerwerk.
    Anna-Maria hatte alles erfahren. Sie wusste von dem Papier und von Katta. Sie wusste von König und Jakob. Sie wusste alles. Die Frage war jetzt: Was würde sie mit ihrem neuen Wissen anfangen?

Anna-Maria und Lutsmann machen einen Besuch
    Am Tag, an dem das Fest des Engels begangen wurde, brach die Morgendämmerung mit Eiseskälte an. Kein Windhauch war zu spüren, keine Wolke am Himmel zu sehen. Glocken läuteten

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