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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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weit hinten auf der linken Seite zwischen den Grabsteinen. Falls er aber jetzt zu ihnen hinübersah, würde er sofort wissen, dass sie Erfolg gehabt hatten.
    Mathias konnte Stefan nirgendwo entdecken. Er drehte sich hierhin und dorthin, aber Stefan hatte sich nur ein Dutzend Reihen weiter über einen Stein gebeugt, um die Inschrift zu lesen. Als er sich wieder aufrichtete, schaute er zufällig in Mathias’ Richtung, und dessen Gesichtsausdruck sagte ihm alles. Er begann zu rufen: »König! König!«, und lief los, deutete auf das Grab und machte König Zeichen herüberzukommen.
    König schob Mathias beiseite und wischte mit der Hand ungestüm den letzten Rest von vereistem Schnee von der Inschrift. Sein Atem stand als kalte Wolke in der Luft.
    » Gelein Merlevede «, las er.
    Er strich über die Ränder des Grabsteins auf der Suche nach Spalten oder Vertiefungen, in denen etwas versteckt sein könnte. Aber er fand nichts. Er richtete sich auf und kickte mit dem Fuß den Schnee vom Grab, doch es kamen nur harte, gefrorene Erde und gelb gewordene Grasbüschel zum Vorschein.
    »Es muss da drin sein«, sagte er.
    Er ließ den Blick über den Friedhof schweifen. Neben dem Eingangstor war eine kleine, steinerne Hütte.
    Frische Leichen waren wertvoll. Medizinische Fakultäten bezahlten gut dafür. Sie fragten nicht immer so genau nach, woher die Toten kamen. Aus diesem Grund stand die Hütte da. Sie hielt Leichenräuber davon ab, die frisch bestatteten Toten wieder auszugraben. Familienmitglieder und Freunde des Verstorbenen konnten sich dort für ein paar Tage niederlassen und das Grab bewachen. Danach war die Leiche für niemanden mehr etwas wert und die Trauernden konnten nach Hause gehen in der Gewissheit, dass der Verstorbene nicht auf einem Seziertisch landete. Der Totengräber nutzte die Hütte, um dort sein Werkzeug aufzubewahren, und genau das brauchte König jetzt. Er steuerte die Hütte an.
    »Was hast du vor?«, fragte Katta.
    Ihre Stimme zitterte. Stefan hörte es und grinste. Die Schatten ringsum wurden dunkler und der Himmel färbte sich rot, als der Tag sich dem Ende zuneigte.
    »Wir warten, bis es dunkel ist«, sagte König.
    »Und dann?«
    Stefan trat so dicht neben sie, dass sich ihre Gesichter beinahe berührten. » Leje tel lankos «, flüsterte er.
    Sie schaute König an, aber sie wusste auch so, was die Worte bedeuteten.
    »Wir graben sie aus.«

Das Bleikästchen
    Der mit Steinplatten ausgelegte Boden der Hütte lag erhöht, sodass man von hier aus den Friedhof überblicken konnte. Dieser Umstand erleichterte es den Leuten, das Grab ihres Verwandten im Auge zu behalten. Drei Stufen führten hinauf. Ein Laden vor der Fensteröffnung ersetzte das Glas. Drinnen hatte der Totengräber seinen Pickel und einen Spaten mit langem Stiel an die Wand gelehnt. Auch Seile und Bretter waren da. Außerdem standen da noch eine Bank und ein Hocker. In einer Nische lag ein Kerzenstummel, das war alles. In der Hütte war es kälter als draußen.
    Katta und Mathias saßen auf der Bank, eng aneinandergedrückt, damit sie es wärmer hatten. Sie beobachteten durch die Ritzen im Fensterladen, wie der Himmel sich verfärbte. Stefan saß auf der untersten Stufe. Als es dunkler wurde, kam er herein. Er nahm den Pickel von der Wand und begann Löcher in den Steinfußboden zu hacken. Es gab ein hohles Geräusch.
    Klack.
    »Sag ihm, er soll aufhören«, verlangte Katta.
    Stefan schaute sie an und sagte in der Köhlersprache etwas zu König. König sah ebenfalls kurz zu Katta hinüber, wandte den Blick dann aber wieder ab.
    »Was hat er gesagt?«, wollte sie wissen.
    »Es spielt keine Rolle«, erwiderte König.
    Stefan grinste sie an. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen.
    »Ich will es wissen«, beharrte sie.
    König antwortete nicht. Er ging die Stufen hinunter, verharrte draußen in der eisigen Luft und blickte sich um, als der letzte Dämmerstreif der Nacht wich. Mathias legte die Hand auf Kattas Ar m – sie wusste, was er damit sagen wollte. Sie holte tief Luft und wandte Stefan den Rücken zu.
    Klack! , machte der Pickel.
    Sie versuchte wegzuhören, aber es gelang ihr nicht. Das Geräusch ließ ihre Gedanken noch düsterer werden. Es war unrecht, ein Grab zu öffnen, das wusste sie. Wer so etwas tat, verschaffte toten Wesen einen Weg zurück ins Diesseit s – halb vermodert und mit leeren Augenhöhlen verfolgten sie den Grabschänder bis in alle Ewigkeit. Selbst wenn man sich in einer Kirche versteckte,

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