Finsterherz
dem Pferd hinüber. Es wandte ihm den Kopf zu; da sah er das Weiße und die Wildheit in seinen Augen und begriff, dass König es doch ernst gemeint haben könnte.
König tätschelte ihm die Wange. »Lass die Taschen einfach, wo sie sind«, sagte er mit drohendem Unterton und gab dem Jungen eine Münze. »Du bekommst noch eine«, versprach er, »falls du noch am Leben bist, wenn ich zurückkomme.«
Katta hatte König nicht geglaubt, als er tags zuvor gesagt hatte, er würde Mathias zu einem Doktor bringen. Sie hatte vermutet, dass er sie damit nur ruhigstellen wollte, bis er eine Gelegenheit sah, Jakob noch einmal zu treffen. Aber sie hatte sich getäuscht.
Der Arzt war ein nervöser junger Mann, der frisch von der medizinischen Universität kam. Sein Sprechzimmer war so eingerichtet, wie es bei leeren Taschen möglich war. Mathias saß mit grauem Gesicht und ohne Hemd auf dem Behandlungstisch. Er stöhnte leise, als der Arzt über die Stellen strich, die wehtaten.
»Der Junge gehört in ein Hospital«, sagte der Arzt schließlich.
»Diese Möglichkeit haben wir nicht«, erwiderte König. »Was könnt Ihr für ihn tun?«
»Er hat gebrochene Rippen. Es geht ihm gar nicht gut.«
»So viel haben wir auch schon feststellen können«, entgegnete König kühl. »Ich habe gefragt: Was könnt Ihr für ihn tun? «
König hatte eine verunsichernde Wirkung auf andere Menschen. Das lag an diesen harten, stahlgrauen Augen. Der Arzt glich einem Hasen im Angesicht eines Wolfs.
»Ich kann die Wunde nähen«, begann er zögernd. »Und die gebrochenen Rippen gerade ausrichte n – sie drücken gegen die Lunge, deshalb ist er so fahl im Gesicht. Ich kann ihn bandagieren.«
»Beschleunigt das die Heilung?«, wollte König wissen.
»Ja«, antwortete der Doktor unsicher. Dann, selbstbewusster: »Ja, das tut es. Aber er muss ruhen.«
König schüttelte den Kopf.
Der Doktor schien nicht zu wissen, was er nun noch sagen sollte, ob er den Punkt weiter ausführen sollte oder nicht, aber König stand da mit steinerner Miene und schwieg. Schließlich stieß der Doktor einen langen Seufzer aus.
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte er.
»Gut«, erwiderte König und lächelte. Er brachte es fertig, beim Lächeln noch gefährlicher auszusehen.
Mathias schaute nervös zu, wie der Arzt einen Schrank öffnete und mit Bedacht auf einem Tablett seine Instrumente zurechtlegte.
»Wenn jemand in dieser Stadt gestorben ist«, begann König, »wer weiß dann, wo derjenige beerdigt ist?«
Der Arzt stellte das Tablett ab. »Die Familie, nehme ich an«, antwortete er zögernd.
König runzelte ungeduldig die Stirn.
»Oh, ich weiß, was Ihr meint«, sagte der Arzt rasch. »Ihr meint Urkunden. Nun, das kommt darauf an, wo man beerdigt is t – in welchem Viertel der Stadt. Sie haben alle ihre eigenen Urkunden.«
»Wie viele Friedhöfe gibt es?«, fragte König.
»Vier? Fünf? Die Krypten nicht mitgerechne t – Ihr wisst schon, die Begräbnisstätten unter den Kirchen. Und die Beinhäuse r – aber da sind nur Knochen.«
»Wie viele Krypten gibt es hier?«
Der junge Mann blies die Wangen auf. »Dutzende«, erwiderte er kopfschüttelnd.
Katta fing Königs Blick auf. »Wo würde man beerdigt werden«, fragte sie, »wenn man in der Nähe des Bären verstorben wäre?«
»Ich fürchte, ich weiß nicht, wo das ist«, antwortete der Arzt. Er war es nicht gewohnt, von verwahrlosten Mädchen ausgefragt zu werden, aber König wusste sofort, worauf Katta hinauswollte.
»Beim Hafen«, sagte er. »Es gibt in der Nähe einen Fluss und eine Brücke.«
»Oh«, sagte der Doktor. Er nahm sein Tablett wieder auf und überprüfte, ob er auch die richtigen Utensilien bereitgelegt hatte. »Das … wäre … dann«, begann er gedehnt, »die Kirche der Heiligen Maximilian und Maria. Oder eine der Krypten«, fügte er hinzu. »Ja, Maximilian und Maria.«
Er legte die Hand auf Mathias’ gesunde Schulter, lächelte ihn an und blickte dann zu König auf. »Jetzt müsst Ihr den Jungen festhalten.«
»Du bist ganz schön schlau«, sagte König, als sie wieder auf der Straße standen.
»Ist doch logisch«, erwiderte Katta. »Wenn Jakob das Papier versteckt hat, ist er bestimmt nicht weit gegangen. Also muss es der nächstgelegene Bestattungsort sein.«
Sie war sehr zufrieden mit sich. Zwar konnte sie nicht abschätzen, was als Nächstes passieren würde, aber sie war jetzt zumindest Teil des Plans und König brauchte sie vielleicht noch.
Sie hätte sich
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