Finsterherz

ganze Grab wieder aufgebuddelt haben?«, fragte sie.
    König musste ihr Recht geben. Er schaute hinunter in das Loch, dann wieder hinauf zu ihr. »Es muss in der Erde sein«, meinte er, »nicht im Sarg.« Er kletterte aus dem Grab, hob die Schaufel auf, die Stefan weggeworfen hatte, und begann den Berg Erde, den sie bereits aus dem Loch geschaufelt hatten, gründlich zu durchsuchen. Aber er fand nichts.
    Er kletterte wieder hinunter und fing an, die Erde am Rand mit der Schaufel wegzukratzen. Wann immer sich ein paar Krümel lösten, durchsuchte er sie mit den Händen. Nach kurzer Zeit schon ließ er die Schaufel fallen, richtete sich auf und wischte Erde von einem Gegenstand, den er in der Hand hielt. Es war ein kleines Kästchen, dessen Boden nicht viel größer als seine Handfläche war, aber es bestand aus Blei und wog deshalb schwer. Wieder kletterte er herauf. »Wir brauchen Licht«, sagte er und marschierte Richtung Hütte.
    Katta blickte in das dunkle, klaffende Loch. »Du kannst das Grab nicht so lassen«, sagte sie.
    Aber König antwortete nicht. Er ging einfach weiter.
    »König!«
    Stefan brachte sein Gesicht dicht an ihres und flucht e – sie brauchte die Worte nicht zu verstehen, um zu wissen, was sie bedeuteten. Er hängte sich bei Mathias ein und zog ihn mit, hinter König her.
    Sie konnten das Loch nicht so lassen. Etwas würde heraufsteigen. Katta hob die Schaufel auf. Sie war schwer und der Stiel eiskalt. Sie begann wieder Erde hineinzuschaufeln. Die Schollen polterten auf den Sargdeckel. In der Dunkelheit ringsum spürte sie eine lauernde Stille. »Es tut mir leid«, sagte sie. Sie wiederholte die Worte, immer wieder, immer schneller, während sie weiter Erde zurückschaufelte. »Es tut mir leid, es tut mir so leid, es tut mir so leid.«
    Dann bewegte sich etwas im Gra b – aber es war nur der vermoderte Deckel, der unter dem Gewicht der Erde nachgab und in den Sarg fiel, aber das reichte schon. Katta verlor völlig die Nerven und schrie los. Sie ließ die Schaufel fallen und floh, lief blindlings durch die Dunkelheit, wusste nicht mehr, in welche Richtung die anderen gegangen waren, stolperte und fiel.
    Stefan hatte den Kerzenstummel angezündet. Sie sah das flackernde Licht und lief darauf zu, stolperte die Stufen zur Hütte hinauf, stand dann atemlos in der Tür und starrte zurück in die Dunkelheit, doch dort bewegte sich nichts; niemand verfolgte sie. Vielleicht hatte sie genug getan, um die Tote zu besänftigen. Katta spürte, wie ihr Herz immer wieder einen Schlag aussetzte. Als sie sich umdrehte, kauerte König im Licht der Kerze auf dem Boden und stemmte das Kästchen mit seinem Messer auf. Er blickte zu ihr herüber, und in diesem Moment öffnete sich das Kästchen wie eine Auster, und etwas fiel durch seine Finger auf den Boden. Mathias hob es auf und hielt es ins Kerzenlicht.
    Es war ein Blatt Papier, das zu einem kleinen Quadrat zusammengefaltet war.
    Mit der Handkante wischte König den Schmutz von der Bank, nahm Mathias das Blatt aus der Hand, faltete es auf und glättete es. Es glich genau der anderen Hälfte und war an einer Kante genauso gerisse n – und genau wie das Gegenstück war auch dieses Blatt vollkommen leer.
    Einen Augenblick lang sagte niemand etwas. König nahm die beiden Hälften des Kästchens und schüttelte sie, aber es war nichts mehr darin.
    »Das kann es nicht sein«, sagte Mathias.
    »Das muss es sein«, sagte König. Er griff in seinen Mantel, zog seine Brieftasche heraus, holte das andere Papierstück und legte die beiden Hälften aneinander. Die Reißkanten passten genau zusammen, aber die Blätter waren beide leer. Er sah Mathias an.
    Dieser betrachtete stirnrunzelnd die Blätter. Es war sicher ein Trick dabei. Er wusste es. Aber ein Trick musste klappen, sonst war er nichts wer t – auch das wusste er. Er versuchte sich vorzustellen, was Gustav getan hätt e – da oben auf der Bühne, wenn aller Augen auf ihn gerichtet waren. Zögernd beugte er sich vor und klatschte in die Hände.
    Und da geschah es. Es war wie bei einem Blatt Papier, das waagerecht ins Feuer fäll t – es dauert einen Moment, bis es sich entzündet, dann brennt es von der Mitte her nach außen. Ein kleines, blaugrünes Flämmchen lief an der Linie entlang, an der die beiden Hälften sich berührten. Dann kroch es langsam über beide Blätter nach außen, aber es war nicht heiß. Es hinterließ ein Muster aus Linien. Sie sahen mit offenem Mund zu, wie die Flamme sich bewegte.
    »Es