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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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jeder Kirche versuchten sie alle Merkmale des Innenraums, die sie identifizieren konnten, mit dem zu vergleichen, was Gustav gezeichnet hatte, aber nirgendwo stimmten Wirklichkeit und Plan auch nur annähernd überein. Es gab immer etwas, was anders war, etwas, was nicht passte. Und die Zeichnung war so sorgfältig angefertigt worden, so exakt, dass es keinen Zweifel geben konnte: Sie würden den richtigen Ort sofort erkennen, wenn sie ihn gefunden hatten.
    Sie hatten auch nicht mehr Glück, als sie von den höchsten Punkten der Stadt hinunterblickten auf die Dächer und Höfe. Sie standen im kalten Wind, deuteten und verglichen, aber der Tag verging und sie fanden nichts.
    Die Glocke hatte schon zum letzten Gottesdienst am Nachmittag geläutet, als sie die Kirche betraten, die sich am beinahe höchstgelegenen Platz der Stadt befand. Der Priester hatte schon mit der Messe begonnen. Eine einzelne Kerze brannte in einer roten Glaslaterne über dem Altar, aber es war nur eine Handvoll Leute in der Kirche. König tauchte die Finger in die Weihwasserschale bei der Tür und bekreuzigte sich. Als Stefan dasselbe tat, machte Katta es ihm nach und nickte Mathias auffordernd zu, damit er es ebenfalls tat. Dann setzten sie sich nebeneinander in eine Bank und warteten, bis der Gottesdienst vorüber war. Katta wusste nicht, was von ihr erwartet wurde. Verstohlen betrachtete sie durch die Fingerzwischenräume ihrer Hände die gebeugten Köpfe der Betenden.
    Als die Messe zu Ende war, wartete König, bis sich die Kirche geleert hatte und der Priester die Altarkerzen nachschnitt.
    »Vater«, rief er, »eine Frage, wenn es gestattet ist.«
    Er zog die Papierhälften aus seiner ledernen Brieftasche und hielt sie dem Priester hin, aber so, dass er das Kreuz, das Gustav in die eine Ecke gesetzt hatte, mit dem Daumen verdeckte.
    »Das hat mein Vater gezeichnet«, erklärte er. »Ich dachte immer, es müsste die Kirche sein, in der er geheiratet hat, weiß aber nicht, ob es stimmt, und er ist längst tot. Könnte es eine Kirche in dieser Stadt sein?«
    Katta sah König mit großen Augen a n – in einer Kirche zu lügen war verwerflic h –, aber er beachtete sie nicht.
    Der Priester betrachtete eingehend die Blätter, die König ihm hinhielt. Einen Augenblick lang erwiderte er nichts. Dann schüttelte er den Kopf.
    »Das ist keine Kirche, die ich kenne.«
    »Seid Ihr sicher?«
    Er lächelte König an und schüttelte erneut den Kopf. »Ich kenne sie alle. Es tut mir leid.«
    »Ich hab’s gewusst«, murmelte Katta, als sie in Richtung Ausgang gingen. Sie blickte Stefan aus dem Augenwinkel an. » Kruzka «, sagte sie.
    Sie waren fast schon an der Tür, als der Priester ihnen nachrief: »Bist du sicher, dass es die Kirche ist, in der er geheiratet hat?«
    König blieb stehen und drehte sich um. »Warum?«
    »Weil ich mir nur einen Ort vorstellen kann, der dieser Zeichnung entspricht, und zwar die Klosterkapelle.«
    »Auf der Insel?«, hakte König nach.
    Der Priester streckte die Hand aus und bat ihn, ihm die Blätter zu bringen, damit er noch einmal einen Blick darauf werfen könne. »Dort sind nicht nur Ruinen«, sagte er. »Einige Gebäudeteile wurden abgetragen, aber die Kapelle existiert noch, genauso wie zwei andere Gebäude. Nur die Dächer und Decken sind eingestürzt.«
    Er besah sich die Blätter noch einmal. »Ja«, sagte er, »jetzt erkenne ich es wieder.« Er fuhr mit dem Finger die Linien nach und erklärte ihnen jede Einzelheit. »Das sind die Erker, das ist das Fenster und das die Tür.« Er schaute König an. »Dies hier ist die Kapelle des heiligen Becca des Älteren. Ein Ort zum Heiraten war sie allerdings nie.«
    »Auf der Insel?«, vergewisserte König sich.
    »Ja, auf der Insel.«
    Stefan drehte sich zu Katta um und grinste sie an. » Kruzka «, sagte er. Er hatte Recht behalten.
    Es gab nur eine Möglichkeit, den Ort zu erreichen. Man musste das Eis überqueren. Mit dem Boot dorthin zu gelangen, war erst wieder bei Tauwetter im Frühling möglich. Aber sie mussten warten, bis es dunkel war. Zu viele Augen würden sie sonst sehen. Zu viele Fragen würden aufkommen.
    Also warteten sie. Sie gingen nicht zurück zum Gasthaus. Stattdessen setzten sie sich mit dem Rücken zur Hafenmauer, schauten hinaus aufs Eis und sahen zu, wie der Himmel den letzten Rest Farbe verlor und auf den Lastkähnen im Hafen und auf den Schiffen, die draußen im Sund vor Anker lagen, eine Laterne nach der anderen angezündet wurde. König war

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