Finsternis über Gan (German Edition)
Zeit wieder bei uns sehen zu dürfen.«
»Mein lieber Sohn«, rief die Königin nun mit schriller Stimme. »Weißt du denn gar nicht mehr, was hier passiert ist?«
Der König zog die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. »Nein, ich kann mich nicht erinnern.« Er schüttelte den Kopf. »Wo ist Jonathan? Ich wollte ihn doch zum Erzminister machen.«
Alle im Thronsaal schauten sich verwundert an. Ihnen war klar: Jonathan ließ sich seit bald einem Jahr Thainavel nennen und war ebenso lange der Erzminister des Königs. Sofort setzte ein Tuscheln ein. »Der König kann sich an nichts mehr erinnern? Er hat sein Gedächtnis verloren? Oh, wie schrecklich.«
Chika flüsterte der Königinmutter zu: »Wir sollten einen Arzt rufen. Er braucht Hilfe.«
»Du hast recht, mein Kind. Ein Arzt, holt einen Arzt«, rief sie in die Menge. Sofort eilten zwei Männer herbei. Als sie dem König beim Aufstehen halfen, begann er zu schreien: »Oh nein, Hilfe. Wie sehe ich denn aus? Wieso bin ich so fett? Was ist mit mir passiert? Hilfe!« Die Ärzte redeten beruhigend auf ihn ein und führten ihn und seine aufgeregt um ihn herumspringende Mutter hinaus. Alle betrachteten peinlich berührt die tragische Szene.
Joe und Finn dachten währenddessen schon an die Schlacht, die nicht weit entfernt vom Schloss tobte. Wie lange würde das Heer der Lichtalben, Bergmännchen und Tiere noch standhalten können, wenn immer neue Schwarzalben ins Land kamen? Die beiden Jungen sprachen sich kurz ab, und da von den Leuten im Thronsaal sich niemand regte, riefen sie laut in die Menge: »Könnte bitte der königliche Rat zusammentreten?«
Ein leises Murmeln setzte ein und nur wenige Sekunden später standen die Ratsmitglieder bei den Trägern der Amulette: die Wasserratte Emilia, die jetzt auf der Schulter des Bergmännchens Doderigg hockte, das die Amulettträger bis dahin noch gar nicht bemerkt hatten, sowie eine ihnen unbekannte Gruppe von Menschen.
Finn schaute ernst in die Runde. »Ihr seid die Regierung dieses Landes. Ihr müsst was tun.«
»Aber was sollen wir denn machen?«, fragte ein Mann. »Ich kann noch gar nicht fassen, was hier in den letzten Minuten geschehen ist. Der König, der Erzminister …«
Joe wurde ungeduldig. »Zunächst muss dieses Gesetz sofort durch Ratsbeschluss zurückgenommen werden und dann müssen alle den anderen draußen beim Kampf gegen die Schwarzalben beistehen.«
Finn deutete auf die Soldaten, die immer noch überall herumstanden. »Die Soldaten hier machen nicht den Eindruck, als ob sie immer noch für Thainavel und die Schwarzalben kämpfen möchten. Fragt sie, ob sie bereit sind, mit euch in die Schlacht zu ziehen.«
»Aber das sind doch Verräter«, empörte sich eine Frau aus dem Rat.
»Fragt sie«, meinte Finn kühl. »Sie haben mittlerweile bestimmt verstanden, dass Thainavel ein böses Spiel mit ihnen gespielt hat.«
Einige Ratsmitglieder sammelten geistesgegenwärtig die Soldaten, Diener und andere kampfbereite Personen im Saal und gaben Anweisung, unverzüglich zum Kampfort zu eilen. Gleich darauf traten sie mit den Gefährten vor den leeren Thron und verfassten eine Erklärung, die das tags zuvor beschlossene Gesetz wieder für ungültig erklärte. Feierlich setzten alle anwesenden Ratsmitglieder ihre Unterschrift darunter.
Emilia, die auf dem Tisch neben der Erklärung saß, weinte unaufhörlich, weil sie sich furchtbar für ihren Fehler schämte. Sie konnte es nicht fassen, sich so sehr in Thainavel getäuscht zu haben. Als sie die Unterschrift unter das Dokument gesetzt hatte, jammerte sie: »Hoffentlich genügt das, um den magischen Schutz unseres Landes wiederherzustellen. Immerhin hat kein König das Dokument unterzeichnet und es sind nicht alle Ratsmitglieder anwesend. Elbachur ist ja seit Ewigkeiten unauffindbar.«
»Wir können nichts anderes tun, als zu hoffen«, meinte ein älterer Mann. Tränen standen in seinen Augen. »Möge der Schöpfer der Lebensströme uns unsere Blindheit und Dummheit vergeben.«
»Darüber können wir später nachdenken. Jetzt müssen wir uns endlich auf den Weg machen. Das sind wir Gan schuldig«, sagte Doderigg, dem man den Wunsch, seine Fehler wiedergutzumachen, ansah.
Hastig liefen sie vor das Schloss, wo sich schon alle Soldaten und Wachposten versammelt hatten und auf sie warteten. Als Chika die vielen Menschen sah, fielen ihr wieder die Lichtalben ein, die im Schlosskeller gefangen waren. »Ach du Schreck! Wir haben die Lichtalben im Keller
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