Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
m’Lady«, sagte Lisette. »Eine Frau in den Wehen, die glaubt, ihr Baby habe sich nicht gedreht, und ein Mädchen, dass sich den Kopf angeschlagen hat und nicht wieder erwacht ist. Dann ist da ein Mann, dessen Hand von einem Pfeil durchbohrt wurde, ein Junge mit einem blutenden Auge und ein Vyrkin mit einem Fuß in der Falle. Und eine junge Frau im Fieberdelirium.«
Carina stellte ihre Tasse ab. »Dann sollten wir anfangen. Lass mich mal nach der Frau mit den Wehen sehen. Wenn ich das Baby dazu bringen kann, sich zu drehen, dann kannst du ihr vielleicht weiterhelfen, während ich mich um die anderen kümmere.«
»Wie Ihr wünscht, m’Lady.« Lisette lächelte. »Babys haben sich nicht geändert, seit ich sterblich war. Davon verstehe ich etwas.«
Es brauchte mehr als einen Kerzenabschnitt, sich um die letzten Patienten zu kümmern. Lisette und Eiria brachten die restlichen Dörfler aus dem Raum und führten sie zu einem Platz, den Neirin für sie im Getreidespeicher vorbereitet hatte. Carina wusch sich erneut die Hände in der Schüssel. Sie spürte eine plötzliche Kälte um sie herum und straffte sich. Die Monate, die sie an Tris’ Seite verbracht hatte, hatten sie dazu gebracht, zu erkennen, wenn Geister in der Nähe waren, und sie war sich sicher, dass einer hinter ihr stand.
Carina wandte sich langsam um. Abgesehen von einem fahlen Schimmer, der etwa in Hüfthöhe so leicht wie Rauch in der Nähe des Kamins hing, war der Raum leer. »Hab keine Angst«, sagte Carina und ging einen Schritt auf den Schimmer zu. »Kannst du dich zeigen?«
Der Schimmer wurde stärker und nahm wirbelnd Substanz an. Die Farbe wechselte dabei zu Grau. Schließlich stand die Gestalt eines Mädchens mit traurigen Augen vor Carina. Wahrscheinlich war sie ein paar Jahre jünger als Carina selbst. »Suchst du nach mir?«
Die Erscheinung nickte.
»Willst du geheilt werden?«, riet Carina. Als die Gestalt des Mädchens noch fester wurde, konnte sie sehen, dass die Augen des Geistes fiebrig glänzten. Wieder nickte das Gespenst.
»Zeig mir, was ich tun kann.« Carina hatte keine Ahnung, wie sie helfen sollte. Das Gewand des Mädchens war in einer Art geschnitten, die schon lange aus der Mode gekommen war. Was, wenn sie nicht einmal weiß, dass sie tot ist? , fragte sich Carina. Was, wenn sie immer noch auf einen Heiler wartet, der kommen soll? Ich wünschte, Tris wäre hier!
Jetzt hatte sich der Geist des Mädchens voll ausgebildet und es sah so aus, als stünde vor Carina jemand, der sich in graue Gaze gehüllt hatte. An den beiden Seiten der Kehle schien ihr Hals stark angeschwollen und aus der Art, wie sie stand und ihre Arme hielt, erriet Carina, dass andere Körperstellen ebenso schmerzhaft angeschwollen waren. Dunkle Flecken erschienen auf den Armen des Mädchens und dem Gesicht und Carina glaubte, dass es sich dabei im Leben um Läsionen gehandelt hatte. Die Sehnsucht in den Augen des Geistes ließ Carina Tränen in die Augen steigen.
»Ich habe keine Ahnung, ob das funktionieren wird«, sagte sie, eher zu sich selbst als zu dem Geist. »Weißt du, dass du tot bist?«, fragte sie freundlich.
Das Gespenst nickte langsam. »Etwas hält dich hier. Ich bin keine Seelenruferin. Aber ich werde tun, was ich kann.« Carina holte tief Luft und schloss die Augen. Sie streckte ihre Hände aus, bis sie vom kalten Nebel umschlossen waren. Sie behielt das Bild des geisterhaften Mädchens im Kopf und spürte das Kitzeln einer Magie, die alt war und tief reichte. Sie schüttelte den Kopf, unsicher, was unvernünftiger war – die Idee, dass sie einen Geist heilen konnte, oder der Gedanke, dass sie beobachtet wurde.
Carina spürte, wie Heilmagie ihre Hände wärmte. Sie konzentrierte sich auf das Bild des Mädchens in ihrem Geist und ließ ihre Hände von der Stirn des Gespenstes bis hinunter zu dessen geschwollenem Hals gleiten und stellte sich dabei vor, dass ihre Kraft eine lebende Person heilte. Langsam ließ sie jetzt die Handflächen über den Körper des Mädchengeistes streichen. Sie stellte sich vor, dass die schmerzenden Schwellungen zurückgingen, das Fieber sank und die Läsionen sich mit neuer Haut überzogen. Vorsichtig arbeitete sie sich über die Gestalt des Mädchens und Carina stellte sich vor, wie die Gelenke, die im Fieber schmerzten, unter ihrer Berührung Erleichterung erfuhren. Dabei berührte sie nichts als Luft. Ohne Tris’ Fähigkeit, auf den Ebenen der Geister zu wandern, verließ sich Carina auf ihre Intuition
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