Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
beinahe das Leben gekostet hatte.
»Die Lady sei gesegnet! Ich hoffe, dass Lord Jonmarc hier sicherer ist. Ich glaube nicht, dass selbst Uri den Mut hätte, hier zuzuschlagen, mit Gabriel und Yestin in der Nähe.« Sie reichte Carina ein frisches Handtuch. »Ihr werdet sehen, dass die Feste in Dark Haven sich sehr von denen Isencrofts oder König Stadens unterscheiden. Wir sind hier sehr altmodisch.«
Lisette legte ein schwarzes Kleid heraus, das silberglitzernd gesäumt war und dessen Mieder kunstvoll mit kleinen Kristallen bestickt war. »Jede Nacht gehört einem Aspekt der Lady. Heute Nacht ehren wir die Formlose.«
Carina schlüpfte in das Kleid. »Tris hat die Formlose mehrmals gesehen, einmal, als sie Jareds Seele genommen hat. Er sagte, ihre Gegenwart sei furchteinflößend.«
»Furchteinflößend, ja. Aber nicht bösartig. Chaos ist für die Schöpfung notwendig. Wer die alten Geschichten kennt, sagt, dass die Namenlose der Aspekt des Beginns und des Endes sei. Sie nimmt die Seelen derer, die sich im großen Kessel neu formen müssen und noch nicht bereit sind für alles andere. Während der Wintersonnenwende führt die Namenlose eine wilde Jagd durch den Himmel. Sie reitet ein fahles Pferd und die Unholde und Geister reiten mit ihr. Die, deren Herzen im Grunde böse sind, fürchten sie, weil sie ihre Gedanken kennt. Aber die Namenlose segnet auch die Felder und die Bäume und das Vieh.« Lisette lächelte Carina an. »Und es wird auch erzählt, dass die wilde Jagd junge Bräute segnet, die empfangen wollen.«
Carina wurde rot und beschäftigte sich mit den Bändern ihres Kleids. »Heiler sind in der Lage so etwas zu kontrollieren, wie Kräuterweiber auch.«
»Ein Kind zu bekommen ist etwas, was mein Volk nicht kann, und ich wurde hinübergebracht, bevor ich Mutter wurde. Ich würde für Eure Kinder sorgen, als wären es meine eigenen.«
»Wie wurdest du hinübergebracht?«
»Meine Geschichte ist nicht so wichtig.«
»Für mich ist sie das.« Carina setzte sich neben das Feuer und winkte Lisette, sich zu ihr zu setzen.
»Ich war die jüngste Tochter eines niedrigen Adligen in den Vororten der Palaststadt. Mein Vater hatte meine Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Kaufmanns arrangiert. Aber mein Ehemann war mehr an meiner Mitgift interessiert.« Lisettes Augen wurden dunkel, als sie sich daran erinnerte. »Er musste sich nicht erst betrinken, um mich zu schlagen, und seine ›Aufmerksamkeiten‹ waren grob. An einem Abend kam ich spät nach Hause zurück. Er war wütend und beschuldigte mich, einen Geliebten zu haben, auch wenn ich nie mit einem anderen Mann außer ihm zusammen gewesen war. Er vergewaltigte mich, schlug mich bewusstlos und warf mich in den Schnee hinaus, damit ich dort sterbe.«
Lisette schwieg für ein paar Augenblicke.
»Laisren hat mich gefunden. Später gestand er, dass er mich schon lange aus einiger Entfernung beobachtet hatte. Er brachte mich hinüber und nahm mich mit zu sich nach Hause. Dort half er mir beim Übergang. Als ich wieder schlief, ging Laisren zurück und tötete meinen Ehemann für das, was er mir angetan hatte. Niemand hat je seine Leiche gefunden und keiner hat ihn vermisst.« Lisette senkte den Blick und ihr langes Haar fiel ihr ins Gesicht. »Das war vor beinahe zweihundert Jahren. Laisren und ich leben seitdem gemeinsam und unsere Seelen sind in der Dunklen Gabe miteinander verbunden. Vielleicht seht Ihr jetzt, warum ich fragte, ob Ihr eine Geistheilerin seid? Es wäre ein großes Geschenk, wenn Ihr den Schmerz von alten Erinnerungen heilen könntet. Nicht, dass Ihr sie ganz löschen sollt, weil sie uns zu dem machen, was wir sind. Aber sie mildern und die Wunden heilen. Selbst nach Jahrhunderten sind einige Erinnerungen so frisch und neu, als wäre es gestern gewesen.«
»Schwester Taru hat mir gesagt, dass viele Heiler früher oder später zu Geistheilern werden. Auch wenn mein Talent groß ist, ich bin noch keine Geistheilerin. Aber wenn ich eine werde, dann verspreche ich, dass ich sowohl den Vayash Moru und den Sterblichen helfen werde. Du hast mein Wort.«
»Ich danke Euch, m’Lady.«
Es klopfte an die Tür des gemeinsamen Wohnzimmers, kurz bevor die Tür sich öffnete. Jonmarc spähte in den Raum. »Bist du bereit für das Abendessen?« Er war ebenfalls in Schwarz gekleidet.
»Lisette hat mir gerade von der Wintersonnenwende in Dark Haven erzählt.«
»Gut, dann kannst du mich ja daran erinnern, was ich tun muss.« Er bot Carina seinen Arm.
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