Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
Sie stiegen in die große Haupthalle hinunter, in der sich bereits eine Menschenmenge versammelt hatte. Im Kerzenlicht sah Carina ein Glitzern unter seinem Hemd, eine Vorsichtsmaßnahme, die auf die letzte Wintersonnenwende zurückging.
»Warte ab, bis du den Ballsaal siehst. Selbst ohne Tris gibt es hier genug Geister, um Spuken in den Schatten zu stellen. Es scheint, als hätten die meisten unserer Gäste – die Lebenden und die Toten – einen Ahnen oder zwei zu dieser Gesellschaft mitgebracht.«
»Wo warst du eigentlich?«, fragte Carina.
»Gabriel hat mir erzählt, was ich tun soll. An meinem ersten Fest zur Wintersonnenwende ist es Sitte, dass der Hausherr Goldmünzen mit der Kaufmannsgilde austauscht und ein Scheffel Weizen mit den Bauern. Das bringt Glück für das kommende Jahr. Heute früh habe ich auch fünf Männer genommen und ein paar Pferde, um eine Eiche zu fällen und sie aus dem Wald zu schleppen. Du siehst sie auf dem Hof. Sie haben an einem Ende der Eiche ein Freudenfeuer entzündet. Jede Nacht wird ein Stück mehr ins Feuer geschoben, bis alles verbrannt ist – das gilt als gutes Omen. Nach Sonnenuntergang hat Gabriel mich hinaus zum Hügelgrab gebracht, wo sie die alten Lords begraben. Ich glaube, dass die Geister sich manchmal berufen fühlen, Rat zu erteilen, aber heute Nacht scheinen sie nichts zu sagen zu haben.«
Draußen blies ein grimmiger Wind. Wie zur Antwort hob die Menge ihre Humpen mit Bier und Punsch und jubelte der Namenlosen und der wilden Jagd zu. Der Jubel wurde zu einem Toast, als Jonmarc und Carina Arm in Arm den Raum betraten.
Ein Festmahl war auf dem größten Tisch angerichtet, mit gebratenem Ziegenfleisch und Gans, zusammen mit einem Rumpudding und flambierten Früchten, Yams und Lauch und Apfelpasteten mit Rosinen. Der Duft von gewürztem Cidre und Wein mischte sich mit dem Geruch von verbranntem Immergrün. Tannenzweige brannten lustig auf den Holzscheiten im Kamin und schickten knisternd Funken in die Luft.
Auf dem Ehrenplatz am Kopfende der Tafel lag ein Ziegenkopf, eine Gabe an die Lady. Die Kinder, die am Fest teilnahmen, hatten kleine Strohpuppen mitgebracht und stellten sie um den Ziegenkopf herum, um die Lady zu ehren. Eine ältere Frau bahnte sich ihren Weg, um eine Schüssel Hafergrütze dazuzustellen, in die sie als Gabe an die Geister reichlich Nüsse und Beeren gegeben hatte. Überall im Raum hingen Kränze aus Eiben und Stechpalmen, verziert mit Winterbeeren. Ein großer immergrüner Zweig in einer Ecke war mit kleinen Strohamuletten behangen, die die Form des Zeichens der Lady hatten. Acht Glaskugeln mit kleinen Kerzen, eine für jedes Gesicht der Lady, hingen von seinen Ästen.
»So ein Fest habe ich noch nie gesehen!«, rief Carina aus, als Gabriel und Laisren sich zu ihnen gesellten. In der Mitte des Saals war ein Tanzboden eingerichtet worden und die Musikanten spielten einen lebhaften Bauerntanz. Carina erkannte Yestin und Eiria zwischen den anderen Tänzern, die sich im Takt der Musik drehten und herumwirbelten.
»Das hättet Ihr sehen können, wenn Ihr vor ein paar hundert Jahren in Fahnlehen oder Margolan gewesen wärt«, sagte Gabriel und verbeugte sich leicht zur Begrüßung. Er küsste Carinas Handrücken. »Diejenigen unter uns, die diese Zeiten überlebt haben, trösten sich damit, die Erinnerungen wenigstens einmal im Jahr wieder aufleben zu lassen. Auch wenn es seltsam ist, dass der gewürzte Wein seinen Geschmack für mich verloren hat.«
»Darum gibt es ja frisches Ziegenblut und auch genug davon. Ich hoffe, Ihr seid in Feststimmung«, sagte Laisren zu Carina. Lisette stand neben ihm und es war klar, dass beide ein Paar waren. »In Dark Haven dauert das Fest der Wintersonnenwende acht Tage, nicht vierzehn wie in Stadens Palast. In jeder Nacht wird ein anderer Aspekt der Lady gefeiert. Am Ende sind alle Sterblichen betrunken und der Rest von uns ist so satt, dass wir eine Woche schlafen müssen!«
Yestin und Eiria kamen zu ihnen herüber, noch ganz angeregt vom Tanzen. »Ah! Aber in der Ostmark sind die Vyrkin auch nicht vergessen«, sagte Yestin und legte seinen Arm um Eiria. Eiria stützte sich auf ihn, als ginge es ihr nicht besonders gut. »In der vierten Nacht, der Nacht der Dunklen Lady, kommen die Geister der Vyrkin, um dem König der Ostmark ihren Tribut zu zollen. Alle Vyrkin, die Lebenden und die Toten, treffen sich mit dem König um ein großes Feuer herum und die Seher unserer Art sagen dem König die Zukunft für das
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